fake : Wie Falschinformationen Syrien destabilisieren
Am 9. März retweete Elon Musk einen Post: „Why is the mainstream media ignoring Christians being slaughtered by the regime in Syria?“ Wie viele Leute schon umgebracht worden seien, fragt Musk dazu. Der Post bezieht sich auf ein Video, das vergangenes Wochenende kursierte. Zeigen soll es die Hinrichtung eines christlichen Priesters in Syrien. Doch: Die griechisch-orthodoxe Erzdiözese kann dessen Existenz nicht bestätigen, bezeichnete die Geschichte als fabriziert.
Unmengen solcher Videos flirren derzeit durch die sozialen Netze. Laut der syrischen Organisation Verify-Sy hat die Desinformation zu Syrien am letzten Wochenende stark zugenommen. „Fake News, miskontextualisierte Inhalte und geradeheraus Desinformation haben sich wie Lauffeuer verbreitet“, teilte Verify-Sy mit. Sie befeuerten die derzeitige volatile Lage.
In der Küstenregion im Westen Syriens, in der überwiegend alawitische Syrer:innen leben, war es am vergangenen Wochenende zu Massakern gekommen. Demnach sollen – teils alawitische – Assad-Anhänger die Sicherheitskräfte der syrischen Übergangsregierung angegriffen haben, es folgte ein größerer Gegenschlag im Westen Syriens. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte geht mittlerweile von 1.454 Menschen aus, die in den nachfolgenden 72 Stunden getötet wurden, mehr als die Hälfte davon waren Zivilist:innen, viele von ihnen unbeteiligte Alawit:innen.
In den sozialen Medien folgten den Ereignissen grausame Bilder. Leichen auf der Straße, Videos von Menschen, die aus nächster Nähe exekutiert wurden, Plünderungen. Doch zwischen den verifizierten Dokumentationen der Gewalttaten, mischten sich immer wieder Desinformation. Laut Verify-Sy wurden neben KI-generierten Bildern und Audioaufnahmen auch Bilder aus früheren Konflikten aufbereitet und in Chatforen und über private Nachrichten weiterverbreitet.
In Syrien trifft die Desinformation dabei auf eine besonders instabile Informationslage. „In der Abwesenheit verlässlicher, unabhängiger Medien dienen die sozialen Medien als entscheidende Informationsquelle“, sagte die syrische Sozialwissenschaftlerin und Aktivistin Noura Aljizawi kürzlich der Deutschen Welle. Seit dem Fall des Assad-Regimes blicken Beobachter:innen bange auf das multikonfessionelle Land. Ob die islamistisch-sunnitische Übergangsregierung der HTS unter Führung von Ahmed al-Scharaa die gespaltene syrische Gesellschaft wieder zusammenführen kann, sei ungewiss.
Der Medienforscher Zouhir al-Shimale von Verify-Sy bemerkt dabei insbesondere Accounts, die aktiv versuchten, Minderheiten in Syrien zu verunsichern. Sie spielten eine gefährliche Rolle als „Aussäer angsterfüllter Narrative über Massentötungen und Verschwörungen gegen Minderheiten“.
Bereits im Januar warnten Expert:innen, dass lokale und internationale Akteure versuchten, ebenjene Spaltungen für eigene Ziele voranzutreiben. Laut Verify-Sy würden dabei iranische Proxy-Netzwerke in Irak und Libanon Desinformationskampagnen gegen die neue Regierung fahren, auch Russland und Israel spielten eine Rolle. Dass jetzt auch Akteure wie Elon Musk oder der rechte US-amerikanische Moderator Tucker Carlson diese Narrative befeuerten, ist neu und gefährlich. Al-Shimale befürchtet, dass es den syrischen Übergang nur noch weiter erschwere. Amelie Sittenauer
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