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Archiv-Artikel

Flora Sibuyis Zwangsreise

AUS ROBINSONMARTINA SCHWIKOWSKI

Draußen vor dem Fenster ist es so heiß, dass die Luft flimmert. Es scheint fast, als fahre der silbrig-graue Eisenbahnwaggon schon langsam an. Aber in Wahrheit macht die Hitze den Augen etwas vor. Hier, im ersten Abteil direkt hinter der Lok, haben sie ihre Sachen auf den Gepäcknetzen verstaut. Die alte Großmutter schaut starr aus dem Fenster. Ihre Tochter macht sich die Haare zurecht, das Baby neben sich in ein helles Handtuch gewickelt. Ihr gegenüber sitzt Flora Sibuyi. Aufrecht hockt die 28 Jahre alte Frau auf dem abgenutzten Sitz. Ihre dunklen Augen sind wach und beobachten, was draußen vor sich geht.

Der leere Bahnsteig würde im Abendlicht verträumt wirken, wäre da nicht die Stimme, die ständig brüllt: „Five. Five. Five.“ Männer in Fünfer-Reihen werden auf die Knie gezwungen, der weiße Plastikschlagstock trifft ihre schwitzenden Körper. Der südafrikanische schwarze Polizist jagt die mosambikanischen Gefangenen die Treppen aus der Unterführung zum Bahnsteig hoch. Sie müssen sich an den Händen fassen und werden in die Waggons gedrückt. Gut 1.000 meist junge Männer. Sie haben fast kein Gepäck, manche eine Tüte oder eine alte Tasche. Für jeden gibt es einen Sitzplatz. 14 Wagen stehen auf den Schienen bereit für die illegalen Einwanderer, die per Zug an diesem Montagabend in ihre Heimat Mosambik abgeschoben werden.

Flora Sibuyi, die im ersten Waggon mit 13 Frauen auf die Abfahrt wartet, ist eine von ihnen. Polizisten haben sie vor wenigen Tagen früh morgens in ihrem einfachen Haus in Bekkersdal, anderthalb Autostunden von Johannesburg entfernt, aus dem Schlaf geholt. Die Beamten pochten um 5 Uhr an die Tür. Ihr Freund, ein mosambikanischer Minenarbeiter, war bereits zur Arbeit gegangen. Flora Sibuyi hat keinen Pass und war seit 1991 illegal im Land. Deshalb hat die Polizei sie festgenommen und zum Flüchtlingslager Lendela gebracht, dem einzigen Sammelpunkt im Land.

Die Frauen sind mittags zuerst aus dem Lager in einem Polizei-Lastwagen die sieben Kilometer zur Bahnstation Robinson gefahren worden. Dort sitzt Flora Sibuyi nun. Jetzt werden die Männer in den Zug verfrachtet, es dauert Stunden. Der Junge, der mit rot-fiebrigen Augen zitternd am Bahnsteig steht, wird wieder ins Lager zurückgebracht. Er ist zu krank, um die fünfzehnstündige Fahrt mitzumachen.

Die Polizisten, zwei vorne und zwei hinten in jedem Abteil, bewachen augenblicklich jede Geste. Auf dem Bahnsteig steht Ronny Marole, Leiter der Einwanderungsbehörde, er trägt ein sauberes weißes Hemd und eine schwarze Hose. „Ich wette, schon bei der zweiten Zählung, etwa zwei Stunden nach der Abfahrt, werden einige fehlen“, sagt er. Er grinst. Dann knallen die Türen und der Zug rollt in den Abend hinein.

Das südafrikanische Innenministerium deportiert fast jeden Montag illegale Einwanderer aus Mosambik. Mittwochs nimmt der Zug eine andere Richtung, dann geht es zur benachbarten Grenze nach Simbabwe. Doch die Mosambikaner sind die größte Gruppe, die illegal ins Land kommt, etwa 3.000 werden pro Monat abgeschoben. Stammen sie aus entfernten Ländern, kommen sie über Flughäfen und werden, einmal gefasst, zurückgeflogen. Das kostet die Regierung im Jahr rund 40 Millionen Rand, umgerechnet sind das fünf Millionen Euro. Und die Menschen geben ihren Traum von einer besseren Welt in Südafrika nicht auf. Das Land ist der wirtschaftliche Motor im südlichen Afrika, aber 40 Prozent sind auch arbeitslos.

„Zu Hause kann ich nichts machen“, sagt Flora Sibuyi. „Ich dachte an ein schöneres Leben auf der anderen Seite.“ Der Zug rattert über die Schienen. Zwei junge Beamtinnen der Einwanderungsbehörde haben gezählt: Alle noch an Bord. Es ist bereits spät, kurz vor Mitternacht, und im Abteil machen es sich die Frauen gemütlich. Die Stimmung ist fröhlich. Flora Sibuyi taut auf. „Ich bin unter dem Zaun durchgerobbt“, erzählt sie und fällt in das Gelächter der anderen ein. Sie nicken, viele der Männer sind so nach Südafrika gekommen. Aber auch Frauen versuchen, den elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun, der die kilometerlange Grenze in den Lebombo-Bergen zu Mosambik bildet, hinter sich zu lassen. Flora Sibuyi, damals 14 Jahre alt, war von Helfern an eine geeignete Stelle gebracht worden, hat den Zaun mit einem Stock hochgesteckt und ist schnell unten durchgeschlüpft. Entweder sind die Wachen gerade nicht in der Nähe oder werden geschmiert. Das gleiche passiert an den Grenzposten mit falschen Papieren, gar keinen Papieren und Geld, das in entsprechende Taschen wandert. Ein tägliches Ritual.

Polizisten mit Mundschutz

Ihr Pferdeschwanz wippt hin und her, während sie redet. Schweiß glänzt auf ihrer Haut. Ihr Tuch in den Farben Rot-Schwarz-Weiß zeigt, dass sie eine angehende Sangoma ist, eine Heilerin. Sie folgt dem Ruf ihrer Ahnen, hat aber noch keine Ausbildung. Sie ist besorgt, weil sie nicht weiß, was sie in Mosambik erwartet. Sie hat kein Geld, ihre zehnjährige Tochter Kenzani und ihr siebenjähriger Sohn Menito leben bei der Mutter in einem Dorf drei Stunden von Mosambiks Hauptstadt Maputo entfernt.

Der Weg durch die Waggons ist eine Tortur, die Hände suchen Halt an den Gepäcknetzen, auf denen einige Männer gekrümmt schlafen. Andere lehnen im Sitz aneinander, mit nackten Oberkörpern oder in zerrissenen Klamotten, manche barfuß. Links und rechts sitzen sie jeweils zu dritt und starren vor sich hin. Keiner spricht. Viele husten und keuchen. Einige sind direkt von der Arbeit abtransportiert worden, sie tragen noch ihre blaue Arbeitskleidung. Ein Geruch von Schweiß und Dreck durchzieht jeden der Waggons, einige Polizisten tragen Mundschutz. Plötzlich schwankt der Zug heftig in einer Kurve, und im Chaos setzt einer der Mosambikaner in der Mitte des Wagens zum Hechtsprung zum leicht geöffneten Fenster an. „He, was willst du da?!“, ruft die junge Beamtin, die ihn aus den Augenwinkeln beobachtet hat. Er grinst verlegen und sitzt schon wieder.

Es ist jetzt früher Morgen. Einige Polizisten schnarchen. Die Männer hängen in ihren Sitzen. „Das ist der Moment, in dem normalerweise die Gefahr groß ist, dass sie abspringen“, sagt Polizeikapitän Frank Hutchons bei seiner Inspektion kurz vor der Grenze. „Wenn die Wachen schläfrig werden.“ Der Zug quietscht auf den Gleisen und wird immer langsamer. „Shufkop“, ruft ein Polizist scharf ein Mischwort, das jeder versteht und alle Männerköpfe senken sich auf ihre Knie. Nach einige Minuten heißt es „Amen“, und sie tauchen auf wie nach einem Gebet und der Zug beschleunigt sein Tempo nach der Kurve. „Vorsichtsmaßnahme für Springlustige“, sagt der Kapitän. Wenn ihre Köpfe unten sind, haben sie eine schlechtere Ausgangsposition zum Springen.

Im Frauen-Abteil ist mehr Platz und die meisten sind schon auf den Beinen. Die saftig-grünen Berge des Lebombo-Grenzgebiets ziehen am Fenster vorbei. An einigen Hütten brennt ein Feuer, Menschen gehen zur Arbeit.

Die Frauen im Zug machen sich frisch. Flora Sibuyi wartet, ihre Bürste mit Zahnpasta in der Hand, und verschwindet in der Dusche des Waggons. Die Großmutter spielt mit ihrem Enkelkind. Die Polizisten witzeln mit denjenigen, die schon auf sind. Jeder scheint erleichtert, dass das Ziel näher kommt, obwohl die Abschiebung frustrierend ist. Dann taucht die Landesgrenze auf. Die hohen Stacheldrahtrollen, die sich über die Grenzhügel schlängeln.

Eine letzte Zählung in Komatipoort auf südafrikanischer Seite bescheinigt den Rekord: Alle da! „Das ist noch nie vorgekommen“, sagt Kapitän Hutchons. „Es springen manchmal bis zu 40 Leute. Aber heute haben alle Polizisten ihren Job gemacht.“ Das bedeutet eigentlich nur, niemand hat Bestechungsgelder angenommen und weggeschaut. Hatte doch der Kapitän zudem am Anfang seine Leute auf Afrikaans gewarnt: „Wenn jemand springt, nicht schießen, die Presse ist an Bord.“

Der Zug rollt gegen 10 Uhr morgens in dem verschlafenen Ressano Garcia, dem ersten Grenzort auf mosambikanischer Seite, ein. Die Männer stehen an den Türen. Sie werden geöffnet, bevor der Zug zum Stillstand kommt, und einer nach dem anderen springt ab ins Gestrüpp. Flora Sibuyi packt ihren Beutel und verabschiedet sich. Sie hofft, mit einem Taxi nach Maputo zu kommen. Wo sie das Geld hernimmt, weiß sie noch nicht.

Illegale Rückkehr

Am Bahnhofsgebäude warten unter den Bäumen schon einige Familienangehörige der Heimkehrer mit Kleidung. Die ersten Geschäfte für den Rücktransport werden auch dort, bereits wenige Minuten nach der Ankunft, abgeschlossen. „He, wir sind noch vor dir zurück“, ruft einer, als der nur noch mit den Polizisten besetzte Zug wieder in Fahrtrichtung Südafrika rollt, denn die Rückfahrt dauert nur sechs Stunden mit dem Auto. Flora Sibuyi winkt und verschwindet in der Menge.

Gut eine Woche später: „Hello“, sagt Floras Sibuyis Stimme am Telefon und sie kichert in ihr Handy. Dann spricht ihr Freund. „Hi, hier ist Eduardo“, sagt der 46 Jahre alte Mann, der seit mehr als zwanzig Jahren in den Westonaria-Minen nahe Johannesburg schuftet und wenig Geld verdient. Sie spricht kein Wort Englisch, er nur wenig. Sie leben traditionell, haben mosambikanische Freunde. Und wenn Flora Sibuyi Früchte auf der Straße verkauft, geht es auch ohne viel Worte oder in afrikanischen Sprachen. Wie sie über die Grenze kam? Ganz einfach: In Ressano Garcia hat sie bereits rumgefragt, wer die Taxifahrten organisiert. Eduardo hat per Telefon Familienangehörige beauftragt, sich um sie zu kümmern und hat Geld locker gemacht. Flora Sibuyi musste etwa 500 Rand, umgerechnet rund 62 Euro, für alles bezahlen: Transport und Geld für die Grenzposten. Pass und Visa in Mosambik dauerten zu lange, meinen sie und seien noch teurer. Ihre beiden Kinder bleiben zunächst dort. „Was sollen wir machen – hier gibt es Arbeit.“