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Greenpeace-Chef zur 660-Millionen-Strafe„Wir wussten, dass uns kein gerechter Prozess erwartet“

Ein US-Gericht hat Greenpeace dazu verurteilt, einer Ölfirma hunderte Millionen US-Dollar zu zahlen. Greenpeace-Chef Mads Christensen wehrt sich.

Protestierende gegen die Pipeline: kurz vor der Räumung durch die Polizei, 2017 in North Dakota Foto: Michael Nigro/ddp
Tobias Bachmann
Interview von Tobias Bachmann

taz: Herr Christensen, ein US-Gericht im Bundesstaat North Dakota hat Ihre NGO Greenpeace am Mittwoch zu Schadensersatzzahlungen in Höhe von 660 Millionen US-Dollar verurteilt. Sie soll in den Jahren 2016 und 2017 Proteste gegen den Bau der Dakota Access Pipeline (DAP) organisiert und deren Betreiber, der Ölfirma Energy Transfer, so erheblichen wirtschaftlichen und Rufschaden zugefügt haben. Wie bewerten Sie das Urteil?

Mads Christensen: Dass wir das organisiert haben sollen, ist großer Unfug. Die indigenen Gemeinschaften haben die Proteste angeführt und mutig ihr Land, ihr Wasser und ihre Rechte verteidigt. Sie wollten verhindern, dass die Pipeline durch das angestammte Land der Standing Rock Sioux verläuft. Wir von Greenpeace waren stolz, ihrem Aufruf für Solidarität zu folgen.

Bild: Tim Aubry / Greenpeace
Im Interview: Mads ­Christensen

Mads ­Christensen ist in Dänemark aufgewachsen und begann 1992 als Freiwilliger bei Greenpeace. Seit 2023 ist Christensen Geschäfts­führer von Greenpeace International. Er lebt in den Niederlanden.

taz: Die Bilder davon gingen um die Welt, Tausende Menschen kamen aus allen Landesteilen der USA, um sich den Bauarbeiten in den Weg zu stellen. Dabei gab es auch Sabotageakte. Welche Rolle hat Greenpeace dabei gespielt?

Christensen: Von April bis August 2016 wuchsen die Proteste von Hunderten auf Zehntausende Menschen an. Bis auf ein paar Ausnahmen verliefen sie friedlich. Umgekehrt aber waren die Ak­ti­vis­t*in­nen enormer Brutalität der Polizei und privater Sicherheitsdienste ausgesetzt.

Unsere indigenen Verbündeten haben uns in dieser Situation gebeten, unsere Erfahrung in der Organisation friedlicher Protestaktionen einzubringen. Greenpeace USA stellte daraufhin für einige Monate sechs Mit­ar­bei­te­r*in­nen ab, die gewaltfreie Aktionstrainings veranstalteten. Und wir haben einen Lastwagen mit Solarpanels aufgestellt, der das Protestcamp mit Strom versorgt hat.

taz: Konnte das Gericht Ihren Leuten nachweisen, dass sie sich an Sabotageaktionen beteiligten oder dazu aufriefen?

Christensen: Nein. Dafür hat das Gericht keine Beweise. Die Kol­le­g*in­nen von Greenpeace USA waren dort, um zu deeskalieren.

taz: Und was hat Greenpeace International gemacht?

Christensen: Wir haben zwei Briefe geschrieben: einen, um Unterschriften zu sammeln. Und einen zweiten gemeinsam mit 500 anderen Organisationen, adressiert an eine Reihe von Banken, die an der Finanzierung der Pipeline beteiligt waren. Aber dieser Brief war nicht einmal Gegenstand des Prozesses.

taz: Warum urteilte das Gericht dann gegen Sie?

Christensen: North Dakota ist sehr abhängig von fossilen Brennstoffen. Als ich dort war, habe ich jede Stunde Kohlezüge vor meinem Fenster gesehen. Die größte Ölraffinerie des Landes ist gleich um die Ecke. Die Auswahl der Geschworenen spiegelte diese Abhängigkeit wider. Die Mitglieder der Jury waren von der fossilen Industrie abhängig, wurden von ihr bezahlt oder waren anderweitig an ihr beteiligt. Wir wussten von Anfang an, dass wir keinen gerechten Prozess erwarten können. Traurigerweise hat sich das bestätigt.

taz: Ihr Anwalt sagte, das Ganze sei ein sogenanntes Slapp gewesen, also ein strategischer Gerichtsprozess mit dem Ziel, Ihre NGO einzuschüchtern und vom Aktivismus für die Umwelt abzuhalten.

Christensen: Zweifelsfrei war das ein Slapp. Aber als Greenpeace sind wir darin nur ein willkürliches Ziel, weil wir eine große Strahlkraft haben. Die Klage soll die gesamte Bewegung für Umweltschutz und die Rechte indigener Gemeinschaften einschüchtern. Sie ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit.

taz: Sie arbeiten seit mehr als 30 Jahren für Greenpeace. Haben Sie solche Klagen schon mal erlebt?

Christensen: Ja. Greenpeace war in den letzten Jahren häufiger Ziel solcher Klagen: eine in Großbritannien von Shell, einige auch von der italienischen Ölfirma Eni. Meistens wehren wir diese ab. In Europa haben wir dank zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen mittlerweile eine ziemlich starke Anti-Slapp-Gesetzgebung.

taz: In North Dakota gibt es solche Gesetze, anders als in anderen US-Bundesstaaten, nicht. Und dieser Fall hatte eine andere Dimension.

Christensen: Das ist bei Weitem die größte Schadensersatzforderung gegen uns und sicherlich auch das absurdeste Urteil. Seit Jahrzehnten betreiben Ölfirmen Desinforma­tionskampagnen, um zu vertuschen, dass sie unser Klima und unsere Umwelt zerstören. Doch in den letzten Jahren sind sie aggressiver geworden. Sie versuchen immer vehementer, die Opposition durch Slapp zum Schweigen zu bringen.

taz: Wie stehen die Chancen für Sie, das Urteil abzuwehren?

Christensen: Das ist ungewiss. Wir haben einen langen juristischen Kampf vor uns.

taz: Welche Bedeutung hat der aktuell laufende Staatsumbau unter der neuen Trump-Regierung in den USA für Ihre Aussichten, das Verfahren in einer höheren Instanz zu gewinnen?

Christensen: Der Fall ist bereits politisch. Der Eigentümer des Unternehmens Energy Transfer, Kelcy Warren, ist Multimilliardär und war über viele Jahre einer der größten Trump-Unterstützer. Auch das Rechtssystem in den USA ist durch die Trump-Administration auf verschiedene Weise unter Druck geraten.

Schon in seiner ersten Amtszeit hat Trump den Obersten Gerichtshof mit sehr konservativen Richtern besetzt. Wie genau sich das auf unseren Fall auswirken wird, ist schwer zu sagen, auch weil wir noch nicht genau wissen, wie wir in Berufung gehen werden. Wir sind noch dabei, das Urteil zu analysieren und die verschiedenen Optionen zu prüfen, die uns zur Verfügung stehen.

taz: Wie wirkt sich dieser Rechtsstreit auf Ihr Kerngeschäft aus? Können Sie sich weiter für Umwelt und Klima engagieren?

Christensen: Greenpeace ist eine große globale Organisation, aber wir sind nicht so groß, dass wir 660 Millionen US-Dollar Strafe zahlen werden können. Für Greenpeace USA stellt die Klage also ein existenzielles Risiko dar. Wir werden uns wehren. Wir sind gut versichert und können die Millionen an Kosten stemmen, die das Verfahren bisher schon gekostet hat und weiter kosten wird.

Was das am Ende für Greenpeace USA bedeutet, ist eine offene Frage. Erst mal machen wir ganz normal weiter. Wir haben eine starke Kampagnenarbeit in den USA, die werden wir fortführen. Für den Rest der Greenpeace-Welt sehe ich keine großen Risiken. Besonders hier in Europa haben wir das Glück einer starken Anti-Slapp-Gesetzgebung, die auch Greenpeace International und die übrigen Greenpeace-Organisationen schützen kann.

taz: Sie sagen, das Urteil soll auch andere Akteure der Bewegung für Umweltschutz und indigene Rechte einschüchtern. Denken Sie, das Urteil hat Signalwirkung?

Christensen: Ich hoffe, es hat den umgekehrten Effekt und ruft alle in der Zivilgesellschaft auf, sich nicht wegzuducken. Wir müssen unsere grundlegenden Rechte verteidigen und ein starkes Gegengewicht zu den kurzfristigen Unternehmens- und Finanzinteressen auf diesem Planeten bilden, die unseren Planeten derzeit verwüsten. Wir müssen für das eintreten, was wir für richtig halten und weiter kämpfen. Das ist jetzt wichtiger denn je.

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