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Ausgehen und rumstehen von Stephanie GrimmIm Netz gibt es keine Serendipitätsmomente

Eigentlich wurde er als Unterhaltungs­quartier konzipiert, dieser ge­schmacks­be­freit aus dem Boden gestampfte Mini­stadtteil an der Warschauer Brücke. Bei mir kommt nur Tristesse an. Nachdem ich erst am letzten Berlinale-tag dachte: „Hoffentlich nächstes Jahr nicht wieder“, eile ich nun schon wieder mit Scheuklappen zwischen Mehrzweckhalle und Mall entlang

Noch schräger als bei anderen Events wirkt diese corporate Pa­rallelwelt, wenn dort, wie vergangenen Freitag, ein Rave zur Aufführung kommt. Beatbastler Jamie xx hat unlängst ja ein tolles Soloalbum veröffentlicht – und zeigt sich auch vor Ort klanglich abenteuerlustig. Hinter seinem Pult hantiert er sogar mit Vinyl, was nicht mal choreografiert wirkt.

Mithilfe von Visuals guckt sich derweil die All-Ages-Crowd beim Tanzen zu. Schön, dass sich einige Leute den Ort dennoch aneignen, als wäre es eine abgerockte Lagerhalle – oder wo man in anderen Zeiten derartige Sausen veranstaltete. Im Foyer lümmeln Grüppchen, als gehöre ihnen die Nacht. Tut sie natürlich nicht, denn nach knapp zwei Stunden endet die Show abrupt und alle müssen schnell raus. Auf dem Weg nach draußen finde ich in meiner Tasche den Sticker wieder, der mir mit dem Ticket ausgehändigt wurde. Er verspricht Zugang zur sogenannten After Show Party. Vielleicht gibt’s da was zu trinken; langsam hab ich wirklich Durst. Bei den 5,50 Euro, die hier ein Wasser kostete, bin ich definitiv raus.

Die Veranstaltung ist schwer zu finden. Dass ich von eine Security-Fachkraft zur nächsten geschickt werde, weckt meinen Ehrgeiz: Irgendwie muss ich in die Eingeweide dieses Gebäudes vordringen. Ein Security-Typ bringt mich in einen kleinen Raum mit Kicker. Dort ist aber niemand, nur weiteres Sicherheitspersonal. Ich vermute eine versteckte Kamera. Nee, nee, eine Handvoll Leute sei schon da gewesen, aber wieder verschwunden. Nun, immerhin ein Kühlschrank. Und ein paar Leute trudeln ein, die auch nicht wissen, wie sie hier gelandet sind.

Ein junger Typ erzählt von seiner Jugend im englischen Norfolk. Wir kommen aufs Küstenstädtchen Cromer zu sprechen. Dort versuchten mein Freund und ich einst in einem Kino, das auch da schon komplett aus der Zeit gefallen schien, unsere Klamotten trocken zu kriegen. Das Wetter hatte uns aus unserem Zelt vertrieben. In der letzten Reihe gab es viel Platz für Beziehungsanbahnung, wie früher im Kino üblich. Doch auch vor 18 Jahren saß niemand mehr auf den schlechten Knutsch-Plätzen. Für unser nasses Zeug war das hilfreich. Betrieben, so stellt sich heraus, wurde der vermatschte Zeltplatz, von dem wir damals flüchten, von den Eltern meiner neuen Bekanntschaft. Small world. Das Kino, erzählt er, sehe übrigens immer noch so aus. Nur ihn habe der Brexit vertrieben.

Um Mikrogeschichten geht es auch in der Akademie der Künste, wo gerade der „European Month of Photography“ gastiert – der immer wieder beglückende Momente schafft, aber eine zerfaserte Sache ist. Insofern schön, dass es 2025 neben kleinen und größeren Orten die zentrale Anlaufstelle gibt. Anders als bei der Präsentation des Nachwuchses in der Leipziger Straße geht es im Festivalzentrum nicht nabelschauhaft zu. Toll etwa „Das Dorf“: Fotografie-Legenden Werner und Ute Mahler und deren Vater Ludwig Schirmer, dokumentierten, teils ohne Arbeiten voneinander zu kennen, über Jahrzehnte den Alltag im thüringischen Berka. Gleich zwei Mal innerhalb gibt es ein kleines Antidot gegen digitale Pseudo-Vernetzung: Überraschende Verbindungen in der echten Welt, über mehrere „degrees of seperation“. Solche Serendipitäts­momente halten virtuelle Räume eher selten bereit.

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