Diskreditierung der Proteste in Serbien: Mit allen Mitteln des Unrechtsstaats
Serbiens Regierung will die Protestbewegung schwächen. Mit Propaganda in den staatsnahen Medien, mit Blockaden und ausgesuchter Brutalität.
Freitagmorgen in Serbien, kurz vor der großen Demo gegen die Regierung, steht der Zugverkehr still. Offiziell heißt es: Bombendrohung. Doch für die Demonstrierenden, die nach Belgrad reisen wollen, ist klar: Präsident Vučić zieht alle Register, um die Proteste kleinzuhalten. Die Straßen und Schienen werden sozusagen hochgeklappt. Auch die Busse, die von Studierenden organisiert wurden, werden reihenweise gestrichen.
Schon im Vorfeld hatte Vučić eine Drohkulisse aufgebaut. Von Gewalt war die Rede, von einer vom Ausland gesteuerten Revolution, die um jeden Preis gestoppt werden müsse.
Die absurdeste Manifestation dieser Strategie steht im Pionirski Park zwischen Parlament und Präsidentensitz: eine improvisierte Zeltstadt, von kritischen Serbinnen und Serben ironisch „Ćacilend“ getauft, eine Verballhornung des serbischen Worts für Schüler. Laut den regierungsnahen Medien forderten Studierende damit ihr Recht auf Bildung ein, denn die meisten Fakultäten sind seit Monaten von der Protestbewegung besetzt.
Doch wer das Camp betritt, sucht echte Studierende lange. Hier sind auffällig viele Männer mit vermummten Gesichtern, teils in fortgeschrittenem Alter, für Studenten eher untypisch. Schließlich erklärt sich einer von ihnen zum Gespräch mit der taz bereit. „Ich studiere an der Technischen Hochschule in Zrenjanin und habe noch drei Prüfungen bis zum Masterabschluss. Ich will, dass der Staat funktioniert, deswegen bin ich hier“, sagt er. Seine Fakultät gehört dabei zu den wenigen, die gar nicht besetzt sind.
Geld für Pro-Vučić-Protest
In der Zeltstadt werden Getränke, Sandwiches und Spanferkel verteilt. Unabhängige serbische Medien berichten, dass einige Zeltbewohner Geld für ihre Präsenz erhalten – „Sendvičari“ nennt man sie, eine abwertende Bezeichnung für Menschen, die sich für Essen oder Geld an regierungsfreundlichen Veranstaltungen beteiligen.
Seit Kurzem sind hier auch Männer mit roten Baretten aufgetaucht. Unter ihnen Živojin Ivanović, ein hochgewachsener Veteran, dem man seine Kriegserfahrung ansieht. Er sagt: „Nirgendwo auf der Welt passiert es, dass Kinder wegen so was drei Monate nicht zur Schule gehen.“ Ivanović ist in Serbien bekannt. Er befehligte einst eine Einheit, die für Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina und Kroatien berüchtigt ist und mutmaßlich für die Ermordung von Serbiens Premierminister Zoran Đinđić im Jahr 2003.
Die Symbolik ist unübersehbar: Die Männer mit den roten Baretten tauchen am Abend vor dem Jahrestag von Đinđićs Ermordung auf.
Die absurde Show des Camps verfolgt mehrere Ziele. Sie liefert den regierungsnahen Medien Bilder von einer scheinbaren Unterstützung für Vučić, die in Wahrheit nicht existiert. Gleichzeitig wird ein Szenario der Einschüchterung mit regimetreuen Statisten und Schlägern aufgebaut.
Zootickets und Schallkanonen
Seit Freitagmorgen ist das Camp von Traktoren umstellt – ein Versuch, den Eindruck zu erwecken, die serbischen Bauern stünden hinter Vučić. Tatsächlich haben sich viele Bauern den Protesten der Studierenden angeschlossen und Straßenblockaden für sie errichtet. In Ćacilend hingegen sieht man die Bauern, die zu den Traktoren gehören, nicht.
Doch außerhalb des Camps lassen sich die echten Studierenden nicht einschüchtern. Sie drehen den Spieß um, nennen das Camp „Zoologischer Garten Pionirski Park“ und verteilen Eintrittskarten dafür. Ein Lied hat sich als Protesthymne etabliert: „Wer nicht springt, ist ein Ćaci“. Die Blockade- und Einschüchterungsversuche konnten den massenhaften Protest denn auch nicht verhindern. Um die 300.000 Menschen demonstrierten weitgehend friedlich, anders als von Vučić und den regierungsnahen Medien dargestellt.
Doch gegen Abend findet der Protest ein abruptes Ende. Während der 15 Schweigeminuten für die 15 Opfer von Novi Sad kurz nach 19 Uhr bricht auf einmal Panik aus. Menschen rennen in Seitengassen, suchen Schutz in Hauseingängen. Die Studierenden entscheiden, ihren Protest für diesen Tag zu beenden und zur Rückkehr an die Fakultäten aufzurufen. Später berichtet ein Militäranalyst im Sender N1, eine Schallkanone sei gegen die Demonstrierenden eingesetzt worden, also ein akustisches Gerät, das schmerzhaft laute Töne produzieren kann.
Die serbischen Sicherheitskräfte dementieren dies. Das sei schließlich illegal.
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