: Ein Bett aus Stimmen
Assoziationen und trockener Humor: Vinyl Release von DJ Courtesys Album „intimate yell“
Von Yi Ling Pan
Helle Töne legen sich zaghaft übereinander. Dazu sinkt Yves B Goldens dunkle Sprechstimme ins Mikrofon. Sätze werden angefangen, abgebrochen. Manche Worte kommen an, immer wieder scheint „touch“ in der langsamen Rezitation durch. Aber im Grunde sind die konkreten Worte egal, wenn die Stimmen halbtraumartig ins Gehirn und zu einem weichen Klangbett zusammenfließen. Man möchte, mitten im menschengefüllten, oktaedrischen, grellen Raum des Schinkel Pavillons, die Augen schließen.
Zwischen den Tönen scheint Susan Sontag durchzuzwinkern. Ihr Essay „Against Interpretation“ für eine erfahrungsfokussierte Interpretationspraxis gab dem Künstler:innenkollektiv „Against Interpretation Club“ seinen Namen. Am heutigen Abend co-hostet es den Vinyl Release von DJ Courtesys zweitem Studioalbum „intimate yell“, eine Verschränkung aus Party und Performances.
In „Gossip II“ spielen Ronja, Baal & Mortimer, Yves B Golden, Hannah Endrulat, Klō, und Olga Hohmann „Stille Post“ mit dem Album, das Deep House, 2-Step, 90s-IDM, Experimental und Ambient vereint. Die tanzbaren Originalversionen der vier Songs kann man nur erahnen, in der sphärischen Mehrstimmigkeit kommt die Fragilität der Lyrics stärker hervor. „Je change, please don’t look back.“ Sie handeln von der Zerbrechlichkeit nachtlebiger Beziehungen, Freundschaften, spielen mit der Mehrbedeutung von „crush“. Manchmal klingen an den Rändern der Klänge andere Worte an. „Baby“, singen sie, es könnte auch „maybe“ heißen, „Baby, I think!“ Auf einem hellen Ton endet die Stimme, man weiß nicht, ob als Ausruf oder Frage. Dann wird das Bett aus Stimmen abgelöst von einem kreischenden Applaus. Die Künstler:innen fallen sich in die Arme, gratulieren einander.
Die heutige Veranstaltung basiere auf Freundschaft, so leitete die Künstlerin Olga Hohmann ihre vorausgehende Performance ein. Der größtenteils englische Text, den sie teils sprechend, teils singend vorträgt, sei eine Antwort auf Courtesys Album. Er nimmt die Lyrics auf und spinnt sie weiter: „Gossip“ wird einziger Weg der Informationsbeschaffung, „mixed feelings“ werden die einzig realen Gefühle, und im Zentrum steht „the uncanny“.
Klar benennt sie ihr Vorhaben, „das Unheimliche“ als Schnittpunkt zwischen „heimlich“ und „heimelig“ zu verhandeln. Damit durchkreuzt sie – „against interpretation“ – die Projekte übereifriger Interpret:innen, Intentionen hinter Worten hervorzuschälen. Im vertrauten Alltag, lauert es: in Form von ausgerissenen Haaren, dem Kind, das blutet in der Nacht, der Großmutter, die immer einen Essensrest vom Vortag in den nächsten Tag mischt. Spinnenkörper zerteilen sich in ihrem Netz, menschliche in Staub. Unheimlich ist es, weil sie Wirklichkeiten nicht verzerrt, sondern ihre Groteske enthüllt. Schneewittchen steht als neue Person auf, Aschenputtel durchläuft eine schmerzhafte Fuß-OP. Ohne Umschweife reiht sie Assoziation an Assoziation, und benennt jede Quelle, René Pollesch, Harry Potter, Freund:innen. So wie die ausgerissenen Haare sich in der ganzen Wohnung verteilen, quillt der Topf an Bildern über. Dazu gesellt sich trockener Humor. „Which tea is hard to swallow? – Reali-tea“, liest sie, viele grinsen, einige lachen auf. Aber am Ende überwiegt der Trost: „If you don’t know where you're going, you can't be lost.“ Eine Zuschauerin hat Tränen in den Augen.
Später füllt sich der Raum in der ersten Etage zu den DJ-Sets von Courtesy und Klō mit zaghaft wippenden Körpern. Auf sommerliche Breakbeats folgen angriffslustige Basslines, man kann zwischen vielen Layers entscheiden. Erst spät wird der erste Track von „intimate yell“ aufgelegt, die Menge jubelt zu „My Dazed Friend“. Die Kritik schließen, in Körper aufgehen – versuchen kann man es.
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