: Sie ist eine Boje
Auch wenn es traurig zugeht, zieht es sie und ihre Lieder nach oben. Albertine Sarges hat in ihrer Kreuzberger Jugend viel hippieske Musik gehört und legt nun das Album „Girl Missing“ über Freundschaften vor
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Von Stephanie Grimm
What Is Love? Antworten auf diese grundsätzliche Frage gibt die Popmusik zuhauf. Wie es ist, nach ihr zu suchen. Liebe dort zu finden, wo man sie nicht vermutet. Und natürlich auch, wie es sich anfühlt, wenn sie sich in Luft auflöst.
Wenn es in platonischen Freundschaften knirscht, sieht es mit Beistand aus den gesellschaftlichen Resonanzräumen dagegen mager aus. Dabei sind durchaus ähnliche Gefühle zu verdauen. Eifersucht, Konkurrenzgebaren, Sehnsucht. Vielleicht auch Kummer, wenn Schluss ist. Rituale, diese Gefühle aufzufangen, gibt es kaum. Und schon gar keine tröstenden Songs.
Zumindest bis jetzt. Genau so ein Ende einer Freundschaft ist zentrales Thema von Albertine Sarges neuem Album „Girl Missing“. Eine enge Freundin, erzählt die Berliner Künstlerin, brach den Kontakt zu ihr ab – ohne Streit, ohne Erklärung. So handelt der Titelsong nicht zuletzt davon, wie viel schwerer es ist, auszuhandeln, wofür platonische Nähe überhaupt steht – verglichen mit romantischen Beziehungen: „I never needed anyone / She didn’t either but/ hanging out was so much fun“ – ein Spaß, der sich in treibendem Sound und schwebendem Gesang spiegelt.
Beim Gespräch mit der taz holt die 37-jährige Musikerin weit aus: „In unserer Gesellschaft haben Leute kaum Zeit, ihr Privatleben zu pflegen. Eine Art Einsamkeitspandemie greift um sich, weil die Menschen keine stabilen sozialen Netzwerke außerhalb der Familien mehr haben. Und Freundschaften sind in vielerlei Hinsicht unterbewertet. Auch, weil man nirgendwo vermittelt bekommt, wie wichtig sie sind. Die westliche Gesellschaft tendiert dazu, in Freundschaften ein juveniles Verhalten zu sehen – nach dem Motto: ‚Das waren noch Zeiten, in denen wir gemeinsam um die Häuser gezogen sind.‘“ Was dann oft unter die Räder kommt, sobald Menschen berufstätig sind und Familien gegründet haben.
Sogenanntes Ghosting, also der Kontaktabbruch durch Abtauchen ohne weitere Erklärung, den gibt es zwar in den unterschiedlichsten Zusammenhängen. Doch zumindest in Liebesbeziehungen gilt ein solches Verhalten als No-Go, noch schlimmer selbst als eine Trennung per SMS. Wenn Freundschaften hässlich enden, folgt nach außen hingen oft nur Schulterzucken. Auch wenn die Emotionen andere sind: „I stop by the old coffee shop / Always makes me think / of how she talks and everything sings / in my fantasy“, croont Sarges in „Girl Missing“.
Auch der minimalistisch instrumentierte Folksong „Reflections“ – ein Frühwerk, den Sarges bereits in ihrer Jugend komponierte – kreist um Ähnliches. Im Grunde sagt der Text „Ich bewundere sie, sie ist toll. Doch sie ist gegangen“, erklärt Sarges. Entstanden war der Songtext als Reaktion auf den Streit mit einer Freundin. Sarges hatte das Gefühl, „dieses Break-up-Verarbeitungsalbum sei das Traurigste, was ich je gemacht habe und jemals machen werde“.
Das Feedback von Freunden war ein anderes. Die fanden dessen Anmutung gar nicht traurig. Dem kann sich die Autorin durchaus anschließen. Der Groove ist treibend, kommt zwischendurch dreampoppig daher – und oft blitzt in den Songtexten auch schräger Humor durch. „Meine Persönlichkeit ist eine Art Boje. Auch wenn ich Tiefgang entwickele, zieht es mich nach oben. Auch mit den Liedern. Aus einer Melancholie heraus lande ich dann doch wieder bei einem aktiven Andante, will Groove und Bewegung.“ Was Sarges, die in ihrer Kreuzberger Jugend viel hippieske Musik hörte – die Eltern waren Hobbymusiker –, „besonders abholt, sind mehrstimmige Gesänge mit Gitarren“. Das passt bei aller Eklektik zu ihrem Sound, der sich mal Richtung Folk, dann aber zu Psychedelik oder Soul streckt.
„Girl Missing“ ist Sarges’ zweites Album nach „The Sticky Finger“ (2021) – das ihr mit dem feministisch-programmatischen und doch luftigen „Free Today“ einen Hit in Großbritannien beschert hatte. Dort sitzt auch ihr Label. Sie selbst bezeichnet sich als „late bloomer“, weil sie erst im Alter von 33 ihr Debütsoloalbum aufnahm. „Vorher habe ich Backing Vocals in jeder verdammten Band der Stadt gesungen.“ In dieser Aussage steckt eine gehörige Koketterie, hat die umtriebige Multiinstrumentalistin sich doch keineswegs hinter der Konkurrenz versteckt. Sondern etwa, nach ihrem Auslandsjahr im Rom (sie studierte Musikwissenschaft) kurzerhand als eine Hälfte des Duos Itaca den Italo-Pop der achtziger Jahre nach Berlin gebracht – und zwar so überzeugend, dass sogar Bekannte glaubten, Albertine Sarges habe italienische Wurzeln.
Angesichts der Songtexte, in denen es darum geht, wie „marode, sozial ungerecht und abgefuckt“ vieles dort ist, scheint durchaus bemerkenswert, dass Itaca sogar zur italienischen Version der Castingshow „X Factor“ eingeladen war. Zwischenzeitlich ist aus dem Projekt das verästelter klingende Nachfolgeprojekt Ostia geworden.
Zudem war Sarges Teil des Vokalensembles von US-Experimentalmusikerin Holly Herndon; auch mit Kat Frankies A-Cappella-Ensemble Bodies stand sie auf der Bühne. Sarges arbeite an Theaterproduktionen mit, etwa bei Christiane Rösingers unterhaltsamen Polit-Revuen. Für die Komische Oper entwickelte sie ein vergnügliches Musiktheater über Düfte – auf die Idee kam sie, als sie feststellte, wie viel Poesie in oft inbrünstigen Onlinerezensionen über Parfüms steckt (die Show ist auch bei „Arte Concerts“ zu sehen).
Sarges’Spaß am Spiel mit der Sprache scheint beim Gespräch immer wieder durch. Zu vielem hat sie etwas zu erzählen: von ihrem Faible für Vogelbeobachtung – einem Hobby, das sie in der Pandemie entdeckte – bis zur begeisternden Lobpreisung von David Foster Wallaces Opus magnum „Unendlicher Spaß“. Ein Exemplar dieses Romanepos steht zufällig in Sichtweite, als wir uns in einem Café mit Buchladen treffen.
Warum begegnete man ihrem assoziationsdichten Blick auf die Welt nicht auch in ihren zwar bisweilen surrealen, aber vergleichsweise luftigen englischen Lyrics? Sarges erzählt, sie habe kaum Vorbilder, was deutsches Texten angeht. Und: „Ich habe überhaupt wenig deutschsprachige Musik mitbekommen – außer durch meine Eltern, die Ton Steine Scherben und Wolf Biermann hörten. Mit der Musik der Hamburger Schule etwa kann man mich jagen, das ist mir zu diskurshaft.“ Oft stamme die Musik von Männern, die beweisen wollen, dass sie etwas verstanden haben. „Diesen politischen Anspruch habe ich nicht – auch, weil er mich wegbringt von der Magie des Musikmachens.“ Und doch, so sagt Albertine Sarges, glaube sie fest daran, dass sie auch mal Musik auf Deutsch machen werde. So oder so: Langweilig wird es im flirrenden Kosmos der Albertine Sarges kaum werden.
Albertine Sarges: „Girl Missing“ (Moshi Moshi/Rough Trade)
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