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Archiv-Artikel

„Das Verfahren ist symbolisch“

UN-TRIBUNAL Der Hamburger Staatsanwalt Jürgen Aßmann hat über zwei Jahre das Tribunal gegen die Roten-Khmer in Kambodscha beraten. Ein Gespräch über Beschönigungen vor Gericht und Grenzen des Mandats

Jürgen Aßmann, 36

war ab Ende 2006 zweieinhalb Jahre lang Berater der kambodschanischen Chefanklägerin beim Tribunal zur Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer. Der Jurist stammt aus Nordrhein-Westfalen und arbeitet seit 2002 als Staatsanwalt in Hamburg. Die Stelle bei der UN hatte das Centrum für Internationale Migration und Entwicklung (CIM) vermittelt, das im Auftrag bundesdeutscher Behörden Experten für offizielle Entwicklungshilfemissionen rekrutiert. Seit kurzem ist Aßmann zurück in Hamburg und arbeitet wieder als Staatsanwalt. Foto: privat

INTERVIEW SEBASTIAN BRONST

taz: Bei den Vorbereitungen zum ersten Rote-Khmer-Prozess haben Sie Kaing Guek Eav, alias Duch, gegenübergesessen, dem berüchtigten früheren Leiter des Gefängnislagers S 21. Welchen Eindruck macht ein Mann, der mutmaßlich für den Tod von 17.000 Menschen mitverantwortlich ist?

Jürgen Aßmann: Ich persönlich hatte den Eindruck, dass Duch sich im Grunde nicht sehr geändert hat. Er war damals jemand, der seine schreckliche Arbeit auf unheimliche Weise gut machen wollte. Und heute will er seine Arbeit als Angeklagter auch unheimlich gut machen – mit erheblichen Beschönigungstendenzen. Sie wissen: Er räumt die Verantwortung ein, er qualifiziert die Taten sogar als völkerstrafrechtliche Verbrechen. Aber den eigenen Anteil daran versucht er zu minimalisieren.

Die wahrscheinlich zentrale Frage, die das Gericht klären muss, ist: Wo stand er auf einer freien Entscheidungsskala von 1 bis 10? War er einer, der gewissermaßen für jeden Satz neuer Reifen für die Lastwagen des Lagers anfragen musste, oder durfte er sogar vorschlagen, welche „Feinde“ zu verhaften und zu vernichten waren?

Die Anklage behauptet letzteres. Ich glaube, dass wir beweisen können, dass er ein aktiv Glaubender des Systems war, auch wenn Duch das heute etwas anders darstellt.

Sie haben in Phnom Penh im Auftrag der UN in einem Team mit rund 25 kambodschanischen und internationalen Anklägern gearbeitet und dabei die Modalitäten der Arbeit des Tribunals gegen die Roten Khmer vor Ort mitentwickelt. Wie sah diese Aufgabe konkret aus?

Einerseits bestand sie darin, die kambodschanische Chefanklägerin zu beraten. Die Staatsanwaltschaft hatte dort eine ziemlich komplexe Aufgabe. Man musste im Grunde erstmal überlegen: Wie gehen wir das Mandat, die Roten Khmer zu verfolgen, überhaupt an? Wie legen wir die Zuständigkeit des Tribunals aus? Diese Aufgabe wächst natürlich weiter, wenn Verfahren einmal eingeleitet werden. Wir haben dann angefangen, Beweismaterial zu sichten und Vorwürfe gegen Duch so zu verdichten, dass sie zu konkreten Behauptungen wurden, die im Rahmen einer öffentlichen Hauptverhandlung überprüfbar sind. Natürlich ist das hier besonders schwierig, weil der Zeitraum besonders lang und die Zahl der Opfer so enorm groß war.

Das Rote-Khmer-Tribunal ist oft dafür gescholten worden, dass es erst rund 30 Jahre nach den Verbrechen der Roten Khmer die Arbeit aufnahm und bis heute nur gegen fünf Angeklagte ermittelt. Wie ist es in Kambodscha um den Rückhalt für den Gerichtshof bestellt?

Es gibt einerseits eine sehr interessierte Zivilgesellschaft. Da sind einmal die Nichtregierungsorganisationen, die ein Tribunal lange gefordert haben. Für die ist es eine Art Erfüllung, dass der Prozess nun im Gang ist, auf den sie immer gewartet haben. Was die breite Masse der Bevölkerung angeht: Es gibt Erhebungen, nach denen 80 bis 85 Prozent der Kambodschaner sagen, sie wollen eine Ahndung – und sie wollen eine Ahndung durch dieses Tribunal.

Das Tribunal in Kambodscha

Schätzungsweise 1,7 Millionen Menschen sollen während der Herrschaft der Roten Khmer in Kambodscha ums Leben gekommen sein. Sie starben als angebliche Volksverräter oder Feinde der in Gang gesetzten gesellschaftlichen Umwälzungen in Foltergefängnissen, Zwangsarbeitslagern und auf den so genannten„killing fields“ oder verhungerten in Folge der von der Politik des Regimes ausgelösten Hungersnöte. Die juristische Aufarbeitung dieser Schreckensherrschaft kam erst nach Jahrzehnten in Gang. Nachdem die USA und China die Verhandlungen lange blockiert hatten, einigten sich die UN und die kambodschanische Regierung 2003 auf ein Tribunal, vor dem einige noch lebende Mitglieder der engsten Khmer-Führungsriege wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werden sollten. Das Tribunal ist – anders als etwa die von den UN eingerichteten internationalen Strafgerichtshöfe zur Ahndung des Völkermords in Ruanda oder für das ehemalige Jugoslawien – ein „hybrides Gericht“. Es besteht je zur Hälfte aus einheimischen und internationalen Richtern, die Modalitäten ihrer Zusammenarbeit und der Ablauf der Prozesse mussten in komplizierten Verhandlungen ausgehandelt werden. Ausländische Hilfe erhielt auch die kambodschanische Anklagebehörde. Deutschland, Frankreich, Australien, die USA und andere Staaten stellten Rechtsberater zur Verfügung.

Die kambodschanische Regierung war nie bereit, mehr als ein paar ranghohen Mitgliedern der Roten Khmer mit internationaler Hilfe den Prozess zu machen. Die Masse der Täter bleibt unbehelligt. Hat die juristische Aufarbeitung der Verbrechen durch das Tribunal so einen Sinn?

Das Verfahren ist hochgradig symbolisch, aber das Symbol ist wichtig, daran habe ich gar keinen Zweifel. Insbesondere wenn man sieht, dass in Kambodscha die Jugendlichen anfangen daran zu zweifeln, dass es die Roten Khmer überhaupt je gegeben hat. Eins aber sehen wir jetzt auch: Die Menschen leiden an der fehlenden Aufklärungsarbeit auf den unteren Ebenen. Es gibt viele Fälle von Verschwundenen ohne Gräber, von Verscharrten – und das ist in der Kultur dort etwas ganz Schlimmes. Um Frieden zu finden, muss man wissen, wo die Lieben liegen. Das kann das Tribunal nicht leisten, es liegt nicht in seinem Mandat. Vor allem der Regierungschef Hun Sen fürchtet Unruhe durch eine zu weitreichende Strafverfolgung.

Welche praktischen Probleme gab es bei Ihrer Arbeit vor Ort?

Wir mussten uns in einem internationalen Team mühsam an schwierige juristische Fragestellungen herantasten und das mit Dolmetschern, die keine Juristen waren. Zugleich ging es oft auch um so etwas wie „juristische Entwicklungshilfe“. In Kambodscha, wo der Bürgerkrieg erst vor zehn Jahren endete, haben viele Juristen keine Ausbildung, wie wir sie kennen. Aber es war eine extrem spannende Zeit. Ich bin immer noch beeindruckt, mit wie viel Ausdauer und Enthusiasmus das Team des Tribunals an die Arbeit gegangen ist.