piwik no script img

Von Schuld und Schulden

Isabelle Graw und Hans-Christian Dany stellen in Hamburg ihre jüngsten Bücher vor. Es geht darin um Geld. Und Kunst

Von Alexander Diehl

„Du kannst schreiben, was du willst“: Darauf schnurrt das Angebot zusammen, das Hans-Christian Dany von einem Anrufer unterbreitet bekommt. Dany lebt als Künstler in Hamburg, sagt er selbst – aber auch, dass er schon lange im Urlaub sei „von dem, was er tun soll“. Insofern ist das Schreiben hier auch eine Ersatzhandlung, verwoben schon mal mit schlechtem Gewissen, zuverlässig Quell für Selbstzweifel auch.

Ein umtriebiger Typ, dieser Dany, der sich gerne als Zaungast des Kunstbetriebs darstellt. Er kuratiert, zum Beispiel zusammen mit Valérie Knoll eine Ausstellung zum Dandy. 2020 unter die Pandemiebekämpfungsräder geraten, wurde daraus dann wenigstens noch ein Buch. Über „Kybernetik und Kontrollgesellschaft“ hat er geschrieben, über „Gesellschaft auf Speed“, und über die „MA-1“, die Mutter aller Bomberjacken; mit dem Dreh, dass wir es ausgerechnet bei diesem Outfit-Standard der Baseballschlägerjahre mit Nylon gewordener Demokratie zu tun haben. Einer, der gut ist für originelle Blicke also.

Von Kunst und Geld, von jeweils davon geprägten Lebensweisen, von Familiengeschichte und ihrer Verarbeitung, sodass auch Nichtbeteiligte es mit Gewinn lesen: Mit „Schuld war mein Hobby. Bilanz einer Familie“ war er in der Verlosung für den Hamburger Hubert-Fichte-Preis 2024, hatte aber gerade das Nachsehen gegenüber Mirko Bonné. Vom Jury-Mitglied Oskar Piegsa, Die Zeit, ist die schöne Formulierung überliefert: „Wer braucht 800 Seiten, um vom Niedergang einer Kaufmannsfamilie zu erzählen? Hans-Christian Dany reichen knapp 130.“

Schreiben, was du willst, und sogar anständig bezahlt werden dafür (zumindest, wenn man dafür nicht so elend lange braucht, wie Dany es sich selbst attestiert): Ein Galeristensohn aus dem Rheinland, so viel erfahren wir dann doch, bereitete die Bühne, die zu seinem jüngsten Buch führte. Wo es aber um eine deutsche, eine norddeutsche Unternehmerfamilie geht, ist die im Titel auftretende Schuld immer auch die, die heute so vielen zunehmend lästig scheint: Um „Arisierung“ geht es halt auch, um Zwangsarbeit und jüdische Ehefrauen, die irgendwann keine mehr sind. Apropos: Mancher Grande des Springer-Verlags war Vater Dany persönlich bekannt, lernen wir, und dass eine Urgroßtante auf Sylt Zimmer an Hermann Göring vermietete.

Dany spielt ganz bewusst mit „Schuld“ und „Schulden“, was auch das mit der Bilanz nochmal anders einleuchtend macht: Am vorläufigen Ende seiner Familiengeschichte, nach mehreren Generationen Tiefbau, bis zu 1.500 Beschäftigte hatte man, steht die Havarie: Ein Konkurs und das Sich-Einrichten-Müssen in einem Leben, das für viele Menschen rundherum freilich immer schon das Normale war, wenn nicht gar eines, von dem sie träumen.

Lesung und Talk „Angst und Geld, Schuld und Väter“ mit Isabelle Graw und Hans-Christian Dany: 27. 2., 19 Uhr, Malersaal-Foyer, Deutsches Schauspielhaus Hamburg

Hans-Christian Dany: „Schuld war mein Hobby. Bilanz einer Familie“. Edition Nautilus, 128 S., 18 Euro; E-Book 14,99 Euro

Isabelle Graw: „Angst und Geld. Ein Roman“, Spector Books, 240 S., 22 Euro

Es ist auch eine Geschichte von Vätern und Söhnen: War Hans-Christian, dem Erstgeborenen, nie das Gefühl vermittelt worden, er sei, was sich der Vater wünscht, übernimmt er es nach dessen Tod, die Angelegenheiten zu regeln – er wird Unternehmer. Das lässt sich als exemplarisch lesen für auch ganz andere biografische Flucht- und Heimkehrbewegungen. Dass die Eltern verschwinden und damit auch alte Konflikte in ein anderes Licht geraten: Diese Erfahrung machen (und verarbeiten) derzeit ja nicht wenige Autor:innen.

Schlüssig, dass Dany nun zusammen mit Isabelle Graw über beider neue Bücher spricht. Entschiedener als er nennt die Berliner Kunstkritikerin, -professorin und Herausgeberin der Texte zur Kunst das ihre einen Roman – was dann aber schon Joseph Vogls Klappentext wieder relativiert, der vom „Romanessay“ sprich. Ein einziger langer Monolog ist es, der einer Frau aus dem Berliner Kunstbetrieb, prekär lebend, aber nicht ständig der Pleite nahe, über Verunsicherung und Scheitern und auch mal beider Gegenteil; durchzogen von brillanten Beobachtungen Komik, wo man sie vielleicht nicht gesucht hätte, und, immer wieder, Anknüpfungspunkten.

Denn man muss keine Frau sein, keine Kunstbetriebsangehörige, auch keine Berlinerin, um von diesem Buch etwas zu haben. Die Existenzängste von Graws Ich-Erzählerin mögen spezifisch sein – das Existenzielle daran, das mitunter ausweglos Scheinende ist es gerade nicht.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen