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Archiv-Artikel

Innerlich flehend, zunehmend irr

Bunt wie im Fernsehen, nein: noch ein wenig bunter: Mit „Gotteskrieger“ und dem zum Theatertreffen eingeladenen „Hotel Paraiso“ sind zwei Stücke des derzeit meistgespielten deutschen Autors Lutz Hübner zu sehen – und hinter den Figuren raschelt kräftig das Papier diverser Zeitungsartikel

VON ESTHER SLEVOGT

Früher befriedigte schon ein Bausparvertrag unser Sicherheitsbedürfnis. Heute sind komplexere Systeme gefragt: Die Welt ist unübersichtlich geworden, seit der Kommunismus zerbrach und auch der Kapitalismus nicht mehr der Alte ist. Das Maxim-Gorki-Theater befasst sich schon seit längerem mit einer ganz besonderen Form der Lebensversicherung: dem Glauben. Erst gab es Bibel pur. Dann war der Kommunismus dran. Teil drei beinhaltet Versuche über den Fundamentalismus.

Zu diesem Zweck hat das Theater beim Dramatiker Lutz Hübner ein Stück in Auftrag gegeben. Es soll das Zentrum einer Veranstaltungsreihe bilden, im Untertitel „Die schöne und einfache Welt“. Schon im Vorfeld der Premiere von Volker Hesses Inszenierung der „Gotteskrieger“ am 3. Mai stellte sich jedoch die Frage, ob ein Autor wie der 1964 geborene Lutz Hübner tatsächlich geeignet ist, die zum Fundamentalismus führende Sehnsucht nach Übersichtlichkeit erhellend zu problematisieren. Liebt doch Hübner selbst die schöne und einfache Welt zu sehr, aus der er seine Stoffe pickt. Wahrscheinlich ist das sogar sein Erfolgsrezept, das ihn inzwischen zum meistgespielten Dramatiker der Gegenwart werden ließ: dass die Welt in seinen Stücken immer genau so aussieht, wie sie im Fernsehen gezeigt und in Zeitungsartikeln beschrieben wird. Dass er uns eigentlich nur noch einmal erklärt, was wir längst schon zu wissen glauben.

In „Creeps“ zicken sich drei junge Frauen an, die es in die Endrunde eines Castings für einen Moderatorenjob geschafft haben. Im Dunkeln sitzt hinter einer Glasscheibe ein Mann, der die Mädchen gegeneinander hetzt. Er ist die Verkörperung sämtlicher kulturpessimistischer Vorbehalte gegen die Macht der Medien, ihre finstersten und bösesten Seiten – auf deren Analyse man im Übrigen vergeblich hofft. Auch das „Bankenstück“ (ebenfalls Maxim-Gorki-Theater) greift ein Thema aus den Medien auf, den Skandal um die Bankgesellschaft Berlin. Es lebt vom Ressentiment der kleinen Leute gegen „die da oben“, die tun, was wir schon immer wussten: raffen, lügen und betrügen – natürlich auf Kosten des kleinen Mannes, der am Ende die Rechnung bezahlen muss.

Analyse bleibt aus, das Politische, erst recht das Revolutionäre existieren bloß als Theatergeste. Während ein Autor wie Rolf Hochhuth seine Enthüllungsstücke auf knallhart recherchierte Fakten baute, leben Hübners Stücke vom diskreten Charme des Populismus, der auf Stimmungen statt Analysen setzt.

Deswegen bleibt natürlich auch in den Gotteskriegern die seit dem 11. September oft gestellte Frage unbeantwortet, wieso säkular und in westlichen Gesellschaften sozialisierte Araber plötzlich zu fanatischen Muslimen und Selbstmordattentätern werden. Hübner präsentiert mit seinem deutsch-marokkanischen Helden Zacarias stattdessen das Abziehbild eines in unzähligen Zeitungsberichten und -essays herausgearbeiteten Typus: Vater Verlierer, Mutter ebenfalls. Auf dem Arbeitsmarkt aufgrund seiner Herkunft diskriminiert, ist der junge, ehrgeizige Mann zunehmend frustriert. Die deutsche Freundin sieht in ihm nicht den Menschen, sondern nur den „arabischen Hengst“ und irritiert ihn mit emanzipiertem Benehmen.

„Gebt mir ein Leitbild!“, hört man förmlich den zunehmend irr blickenden jungen Mann (Matthias Walter) innerlich flehen. Dann tauchen aus dem Nebel eines türkischen Dampfbades die islamistischen Verführer auf: Sie tragen weiße Badetücher und reden geschwollenen Quatsch. Davon abgesehen, dass es grundsätzlich nicht ohne Komik ist, brave deutsche Theaterschauspieler glutäugige Islamisten mimen zu sehen, schlägt das Klischee vom durch die westliche Zivilisation arg gebeutelten Araber an diesem Abend besonders erbarmungslos zu. Im Stück wird eins zu eins bebildert, was der Zuschauer längst aus den Medien weiß. Hinterfragt und beleuchtet wird hier nichts.

Da Lutz Hübner mit seinen griffigen Zubereitungen von Gegenwartsphänomenen derzeit offensichtlich unverzichtbar ist, kam auch das Theatertreffen nicht ohne ihn aus. „Hotel Paraiso“ hieß der von Barbara Bürk inszenierte Abend vom Schauspiel Hannover. Diesmal ging es um Tourismus im weiteren und Terror in der Familie im engeren Sinn. Wieder raschelte hinter den Figuren kräftig das Papier diverser Zeitungsartikel, die Hübner im Vorfeld gelesen hatte: einsame Mittvierzigerin auf der Suche nach jungen Liebhabern, die Spießerfamilie, hinter deren trüber Fassade der Abgrund trieft, ein erotisch überambitionierter, hirnloser Surfer und Touristinnenbeglücker. Doch weil wir nicht im Vorabendprogramm des deutschen Fernsehens, sondern im Theater sind, lauert im Frühstücksraum der portugiesischen Pension die Katastrophe.

Barbara Bürk inszeniert grellbunt und versucht dem platten Realismus von Hübners dramatischer Betrachtung mit surrealistischer Erhöhung zu entgehen. Hysterische Tänze, Traumsequenzen als Videoprojektion, eine echte portugiesische Folkloregruppe und schließlich die ebenso nymphenhafte wie exaltierte Sonja Beißwenger, die ihre Figur auf antikes Tragödienformat aufbläst. Ansonsten sieht die Welt wieder wie im Fernsehen aus. Nur vielleicht ein bisschen bunter. Und wir dürfen sie hautnah miterleben. Lutz Hübner sei Dank, der das Fernsehen als Theaterformat neu erfunden hat.

„Hotel Paraiso“, 20. 5., 16, 21 Uhr, 21. 5., 20 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; „Gotteskrieger“, 20., 21. und 27. 5., 20 Uhr, Maxim Gorki Theater