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Archiv-Artikel

Stirn ermüdet, Herz vergletschert

Die Wahrheit schreibt den offiziellen Rolf-Hochhuth-Preis für gequirlten Quark aus

„Greller Mittag, graues Zimmer / Stirn ermüdet, Herz vergletschert / eingestuft du, ‚aus‘-gewertet / Sommer Phrasen Schlußverkauf.“ So fängt ein Gedicht des Lyrikers Rolf Hochhuth an, und so geht es weiter: „Vor dem Fenster ‚Wirklichkeiten‘ / die sich lärmend selbst erzeugen / Wegwerf-Ware wie wir selbst / Müllplatz der Big Dollar Words.“ Und noch ’ne Strophe: „Schnittpunkt Börse, Ämter-Kehricht / Mandarine der Konzerne / – du dazwischen ortlos zappelnd / Köder von ZK und Wallstreet.“

Rolf Hochhuth ist, wie soll man sagen, zwar weltberühmt, aber nicht eben einer der Hellsten, und im Sonnenschein seiner Berühmtheit dichtet er seit Jahrzehnten so vor sich hin: „Zu entnervt, um nur zu fragen / wer dich kreiselt und verschleißt / ferngelenkt nach einem Kursbuch / dessen Chiffren niemand kennt.“ In einem hochnotpeinlichen, an den Spiegel gerichteten Leserbriefgedicht über den Holocaust hat Hochhuth sich kürzlich abermals als Lyriker in Erinnerung gebracht, und wenn nicht alles täuscht, ist es höchste Eisenbahn, den Rolf-Hochhuth-Preis für gequirlten Quark auszuschreiben, im Geiste des Meisters, der einst gedichtet hat: „Friede, Gesundheit sind Zonen / des Neides, der Rachsucht, der Gier. / Erfolge, Schönheit, Applaus / locken Unfälle, Krankheiten, Frauen / und Politik an wie ein Vampir, // Der, was Familien erbauen, / leersaugt oder wegschleppt als Beute. / Wer kann sich dem Schicksal entziehen? / Lebe! – doch wisse auch heute: / Bett und Tisch sind nur jedem geliehen.“

Irgendwie zum Ausdruck bringen wollen hatte Hochhuth in diesem Gedicht vermutlich, dass Bett und Tisch „jedem nur geliehen“ seien, opferte diesen ohnehin kargen Gedanken jedoch dem selbst verordneten Rumpeldipumpel-Rhythmus, und so kam es zu dem sonderbaren Ratschlag, man solle sich merken, dass Bett und Tisch nicht etwa uns allen geliehen worden seien, sondern „nur jedem“, also eben doch uns allen.

Und auch der Rest ist Quark, der sich als Gesellschaftskritik spreizt: Denn wen möchte Hochhuth anklagen, wenn es nach seiner eigenen Aussage die Erfolge, die Schönheit und der Applaus sind, die in Vampirgestalt die Unfälle, die Krankheiten, die Frauen, die Politik und das von den Familien Erbaute anlocken, leersaugen oder wegschleppen? Die Erfolge, die Schönheit und den Applaus?

Höchste Zeit, den Rolf-Hochhuth-Preis für gequirlten Quark auszuschreiben. Darum bewerben kann sich jeder, der bis zum 1. September 2005 ein mehrstrophiges, möglichst schlecht gereimtes und möglichst holperiges Gedicht über irgendein zeitgeschichtliches oder sozialpolitisches Sujet an folgende Adresse einschickt: Die Wahrheit, taz – die tageszeitung, Kochstraße 18, 10969 Berlin, Stichwort: „Quark“.

Dotiert ist der Rolf-Hochhuth-Preis für gequirlten Quark mit neun Euro 99 und 250 Gramm Kräuterquark, und verliehen wird er der glücklichen Gewinnerin oder dem glücklichen Gewinner am Stand der taz auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Alleiniger Juror ist Gerhard Henschel. Der bekannte Lobredner Oliver Maria Schmitt wird die Laudatio halten.

Also dichten Sie bitte. So gequirlt wie der olle Hochhuth! Können Sie das?

GERHARD HENSCHEL