Lob der französischen Handarbeit

Wo Mensch und Arbeit noch eins sind: In „Die Perlenstickerinnen“ fädelt Eléonore Faucher an einer ungewollten Schwangerschaft die Geschichte eines ganzen Berufsstands auf. Mit seinem kontemplativen Blick bedient ihr Debütfilm dann aber doch nur die Sehnsucht nach den einfachen Dingen im Leben

In Cannes gewann Eléonore Faucher im vergangenen Jahrden Kritikerpreis

VON ANNETT BUSCH

Wir befinden uns irgendwo auf dem Land in der Region Rhône-Alpes. Claire (Lola Naymark) ist siebzehn und ungewollt schwanger; der Vater des Kindes spielt keine Rolle mehr. Sie jobbt als Kassiererin im Intermarché, und als ihre Kolleginnen sie aufziehen, sie sei so dick geworden, kontert Claire, das komme vom Kortison, sie habe Krebs.

Ihren Bauch zwängt Claire in eine Jeans und zieht ein Kleid drüber – oder sie trägt eine Bluse, noch eine Strickjacke und dann ihren Mantel.

Die Kamera interessiert sich dabei nicht nur für Claires Körper und seine Bewegungen, sondern mehr noch für die Beschaffenheit der unterschiedlichen Materialien, für die Muster und Farben, die sie miteinander kombiniert, und für die Struktur ihrer krausen roten Locken.

In der Morgendämmerung im Regen fährt Claire mit ihrem Mofa zur Frauenärztin. Ihre Ablehnung gegenüber dem wachsenden Etwas in ihrem Bauch ist diffus, nicht aggressiv. Die neue Situation überfordert ihre Vorstellungskraft.

Die Frauenärztin meint es gut: Sie will informieren, die Sache sachlich sehen, aber das kann Claire noch nicht hören, es erscheint zu konkret. Doch daraus wird kein Drama: Für alles gibt es eine Lösung, es braucht nur etwas Zeit.

Wie der Titel schon andeutet, geht es in „Die Perlenstickerinnen“ nicht nur um das Schicksal einer Person, sondern um einen ganzen Beruf. Es ist ein französischer Film, und abgesehen von Claire handelt er von Weißkohl, Christian Lacroix und einer angesehenen Stickerin, Madame Melikian (Ariane Ascardide), deren Sohn bei einem Motorradunfall ums Leben kam und die seitdem in Trauer lebt. Außerdem geht es um entfremdete und weniger entfremdete Arbeit: Um Tätigkeit, die wiederum zur Kommunikation wird, wenn das Sprechen zu anstrengend ist.

Das Etikett „französisch“ meint dabei mehr, als dass der Film in Frankreich von einer französischen Filmemacherin mit einem Großteil französischen Geldes realisiert wurde. Vielmehr meint es ein ästhetisches Label, das für die einen ein Schimpfwort, für die anderen dagegen ein Qualitätsmerkmal ist. Es ist das Produkt einer bestimmten Schule. Es meint in diesem Fall nicht, dass besonders viel über Sex und Beziehungsprobleme geredet wird, im Gegenteil. Vielmehr geht es um einen bestimmten Blick, um Kadrierung und Auslassung und eine Sprache, die das weite Spektrum von Gesten, Wiederholung und kleinen Ritualen ausschöpft.

Die Rechnung ist aufgegangen, vor allem letztes Jahr in Cannes. Dort gewann die Regisseurin Eléonore Faucher für ihr Langfilmdebüt den Kritikerpreis, und die Cahiers du Cinéma waren begeistert: Wieder jemand, der das Handwerk des Kinos verstanden und ein so dankbares Thema gefunden hat, das wie geschaffen scheint für einen genauen, kontemplativen Blick – eben die Stickerei.

Man mag das Seufzen der Arthouse-Seelchen förmlich hören ob all der gut ausgeleuchteten Haute-Couture-Stickereien, all der Perlen und Ornamente, und, ja, ob der stundenlangen Handarbeit an einem so unglamourösen, abgelegenen Ort. Im Rückzugsgebiet des dunklen Kinosaals darf sich die heimliche Sehnsucht nach den einfachen Dingen im Leben noch mal ungehemmt ausbreiten. Claire wird Arbeit finden bei Madame Melikian, beide Frauen werden sich eine Hilfe sein. Besser als der Job im Intermarché scheint das Sticken für den Laufsteg allemal.

Und doch hängt hier einiges schief, wirkt die Geschichte zu rund und abgewandt. Ausgangspunkt für den Film war, wie die Regisseurin klarstellt, ein Loch im Pullover und nicht etwa die Arbeitsbedingungen innerhalb der Modeindustrie. Ein Pullover voll mit Bedeutung, ein selbst gestrickter, den die Mutter der Tochter geschenkt hatte, als diese schwanger war. „Die Bewegung meiner Hand mit dem Faden hatte etwas in mir ausgelöst“, meint die Regisseurin, „ähnlich wie Claire später im Drehbuch, hoffte ich, dass diese Bewegung zu etwas Einzigartigem und Schönem führen würde.“

Fauchers Drehbuch sieht auch vor, dass Claire schließlich Ja zu ihrem Kind sagt – okay, warum nicht. Dass dann noch, indirekt, Christian Lacroix mit ins Spiel kommt, angetan von Claires kunstvoll gesticktem Schal, den Madame Melikian ihm heimlich vorbeigebracht hat, und er die beiden Frauen mit einem neuen Auftrag bedenkt, macht die Geschichte fast zu einem Märchen.

In welchem Kontext die Kleider später vorgeführt werden und wie die Verbindungen und Auftragsgeschäfte zwischen Modezentrum und Peripherie tatsächlich verlaufen, muss man nicht zeigen. Doch die komplette Ausblendung erweckt den Eindruck, die Mini-Produktionsstätte in Rhône-Alpes sei die letzte Bastion einer Welt, wo Mensch und Arbeit noch eins sind. Da hat die Romantisierung schon längst begonnen.

„Die Perlenstickerinnen“. Regie: Eléonore Faucher. Mit Lola Naymark, Ariane Ascardide. Frankreich 2004, 88 Min.