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Archiv-Artikel

Im Internet der Dinge

In nicht allzu ferner Zukunft werden winzige Funkchips die Welt vernetzen – vorerst zwar nur Produkte, potenziell aber alles und jeden. Droht die Totalüberwachung wie in der Science-Fiction?

VON JULIA BÜTTNER

Es wäre so praktisch: Der Lieblingspulli ist unauffindbar. Statt die Wohnung auf den Kopf zu stellen, genügt eine kleine Anfrage an den PC, der prompt meldet: „Lieblingspulli? Gestern in der Kneipe liegen gelassen, momentan hinterm Tresen. Ach, und übrigens: Pulli könnte mal wieder eine Wäsche vertragen“.

Weltweit arbeiten Forscher der 100 größten Konzerne daran, die Welt der Informationen mit der Welt der Gegenstände zu verknüpfen. „Internet der Dinge“ nennen sie die neue vernetzte Wirklichkeit, die in naher Zukunft unsere ganz alltägliche Lebenswelt sein könnte. Möglich ist das schon heute durch eine im Prinzip simple Technik namens „Radio frequency identification“, kurz RFID. Winzige, mit einer Antenne ausgestattete Computerchips werden an Gegenständen aller Art befestigt. Befindet sich das so ausgerüstete Objekt in der Nähe eines Lesegeräts, funkt der Chip eine Kennungsnummer. Per Computer können dann Informationen über das Produkt abgerufen werden: Wo es sich befindet, welchen Weg es in letzter Zeit zurückgelegt hat, welche anderen Gegenstände sich in der Nähe befinden.

Anders als beim Strichcode – der dann in Rente gehen kann – muss das Etikett nicht mehr in Berührung mit dem Lesegerät kommen, sondern gibt seine Informationen unauffällig über Funkwellen ab – und hier liegt die Gefahr der Technik.

Funketiketten sind keine neue Erfindung. Das US-Militär benutzt sie seit 1940, seit 1977 ist ihre zivile Anwendung erlaubt. Doch erst mit der rasanten Entwicklung der Chiptechnik wird die Bestückung selbst banalster Gegenstände denkbar. Kaum reiskorngroß sind die Chip-Winzlinge heute noch, die Kosten liegen im Centbereich.

Von funkenden Gegenständen sind wir schon jetzt umgeben: So sind beispielsweise die Tickets für die Fußball-WM 2006 chipgespickt, um Ticketfälschungen zu vermeiden und Hooligans den Zugang zum Stadion zu verweigern. Ihren größten Einsatzbereich hat die Technik aber momentan im Großhandel, wo logistische Abläufe kontrolliert und optimiert werden sollen.

Eine Vorstellung, bei denen es Verbraucherschützern kalt den Rücken hinunterläuft. Denn auch nach Erwerb funken Pulli, Buch und Coladose weiter ihre Codes in die Welt hinaus – von dort, wo ihr Besitzer sich gerade aufhält.

Steht uns also die chipgesteuerte Totalüberwachung bevor? Die technischen Einsatzmöglichkeiten der Minichips machen selbst vor Lebewesen nicht Halt. In Nordrhein-Westfahlen ist ein implantierter Funksender für Kampfhunde Pflicht – so kann der Besitzer identifiziert werden. Warum nicht auch Kinder damit ausstatten, um sie vom Schuleschwänzen abzuhalten?

Sicherheitsexperten schwärmen von den Möglichkeiten der neuen Technik: Ein Chip, unter die Haut injiziert, und jeder wäre jederzeit genau identifizierbar. Kritiker des RFID-Verfahrens wie der „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs“ protestieren gegen die Verletzung der Privatsphäre durch die „Schnüffeltechnik“.

Sie fordern, dass die Daten nicht ohne Einverständnis der Kunden gespeichert werden dürfen. Der Handelsriese Metro AG musste nach Protesten im letzten Jahr 10.000 Paybackkarten zurückrufen, die heimlich mit Transpondern bestückt wurden, um genauere Kundenprofile erstellen zu können. Auch der Kleidungshersteller Gerry Weber musste seine vormals versteckten Etiketten sichtbar an der Kleidung befestigen, sodass sie abgeschnitten werden können.

Wolfgang Lammers vom Fraunhoferinstitut hält solche Überlegungen für Panikmache: „Da werden Bedrohungsszenarien aufgebaut, die nicht realistisch sind.“ Bisher liegt der maximale Abstand, den das Signal des Chips bis zum Lesegerät überwinden kann, bei einem Meter. Wasser und Metall funktionieren zusätzlich wie Barrieren, die das Signal abblocken oder dämpfen. Wer auf der Straße mit einem chipbestückten Gegenstand herumläuft, wird also nicht auf Schritt und Tritt erfasst, denn dafür müsste diese flächendeckend mit Lesegeräten überzogen werden. Umgekehrt ist es kaum sinnvoll, jeden Joghurtbecher mit einem Funkchip auszurüsten: „Die entstehenden Datenmengen und der Aufwand, den es kosten würde, sie auszuwerten, wären immens – das würde sich für die Unternehmen gar nicht rechnen“, meint der Experte. Das Internet der Dinge wird also grobmaschiger, als manche befürchten.

„Hysterie“ spotteten denn auch die Firmen noch vor kurzem, wenn Verbraucherschutzverbände vor der Überwachung durch Funktransponder warnten. Doch inzwischen sind ihnen die Möglichkeiten der Minichips selbst unheimlich geworden – natürlich nicht um der Kunden willen, die gar nicht gläsern genug sein können.

Ihre Furcht gilt der Industriespionage, denn die Chips funken ihre Informationen völlig unverschlüsselt in die Welt hinaus – auch für fremde Unternehmen wird es so zum Kinderspiel, Warenflüsse der Konkurrenz auszuspionieren. Unter Hochdruck wird deswegen jetzt parallel gearbeitet – daran, die Daten verfügbar zu machen. Und daran, sie wieder zu verschlüsseln.