: Wo Mensch und Dämon sich treffen
Radikal negativ und schön konsequent: Der argentinische Horrorfilm „When Evil Lurks“ von Demián Rugna über Besessenheit ist so grimmig wie grotesk
Von Benjamin Moldenhauer
Angst und Schrecken im Horrorgenre sind das Eine und natürlich zentral. Was aber immer wieder in den Hintergrund rückt, ist, dass Horrorfilme sich auch zur Orientierung und Welterschließung eignen. Zumindest dann, wenn man Bilder vom Worst Case sucht, die die Schrecken nicht mit Heldenerzählungen abmildern. Kein anderes Genre sonst schert immer wieder so unbeschwert in die Negativität aus. Und Negativität gehört, als Versprechen an Zuschauerin und Zuschauer, ebenso zum Horrorfilm wie die Angstlust.
Der argentinische Film „When Evil Lurks“ setzt von der ersten Minute an auf einen Pessimismus, der sich auf der Ebene der Zuschauer:innenaffekte als starker Eindruck einer umfassenden Hoffnungslosigkeit entfaltet. Alles geht schief, und das Böse ist bald nicht nur überall, sondern auch überwältigend.
Die Dämonenmythologie des Films ist originell und konsistent. In einem Haus am Rand eines abgelegenen argentinischen Dorfes liegt ein aufgeblähter, mit Pusteln übersäter Mann in seinem Bett und suppt vor sich hin. Alle wissen anscheinend Bescheid: Es handelt sich um einen Besessenen, der sterben muss, um die Geburt von etwas radikal Bösem zu verhindern. Auch die Behörden wissen Bescheid, unternehmen aber genretypischerweise nichts.
Wenn man den Besessenen erschießt, wird der Dämon freigesetzt. Also beschließen die beiden Brüder Pedro (Ezequiel Rodríguez) und Jaime (Demián Salomón), ihn mit dem Auto einfach wegzubringen. Dies ist die erste von vielen schlechten Ideen. Alles, was schief gehen kann, geht auch schief, und in diesem Sinne wirkt in „When Evil Lurks“ ein untergründiger Realismus.
„Aus den Augen, aus dem Sinn“ klappt im Horrorgenre jedenfalls generell nicht. Das Böse, das man nicht mehr sehen will, kommt mit umso größerer Macht zurück. Der Besessene rutscht während der Fahrt von der Ladefläche und taucht erst am Schluss des Films wieder auf. Er hat sich zu diesem Zeitpunkt aber ohnehin schon in der Gemeinde und in den Familien eingenistet. Tiere verbreiten das Dämonische wie einen Virus. Und die Bilder, die Regisseur Demián Rugna und sein Kameramann Mariano Suárez auffahren, sind wirklich fies: Eine Frau erschießt ihren Mann und schlägt sich dann eine Axt in den Kopf, ein Hund reißt ein kleines Mädchen, Kinder fallen über eine Mutter her, ein Kopf wird geöffnet. Und mittendrin Pedro und Jaime, die zunehmend hysterisch immer wieder die falschen Entscheidungen treffen.
Die Beklemmung, die von den Bildern ausgeht, speist sich in der Hauptsache allerdings nicht aus den zahlreichen Exzessmomenten, sondern aus maximal angespannten Sequenzen, die immer wieder ins ernsthaft Groteske kippen. Darunter eine Art Showdown in Zeitlupe in einer von besessenen Kindern bewohnten Schule und eine Begegnung zwischen Mensch und Dämon im Lichtkegel eines Autos, nachts.
Für die Inszenierung der „When Evil Lurks“ dominierenden drückenden Atmosphäre hat Rugna sich vermutlich an David Robert Mitchells frühem Horrormeisterwerk „It Follows“ orientiert. Sie korrespondiert auf der Handlungsebene mit der Imagination eines unaufhaltsamen Bösen, das die Welt überzieht wie eine Schneedecke und alle besetzt, die innerlich schwanken, also Angst haben. Am Ende alle.
„When Evil Lurks“ gehört zur Gruppe der inzwischen etwas rar gewordenen radikal negativen, kompromisslos grimmigen Horrorfilme. Der Bezug der Filmbilder zur Welt, der sich möglicherweise herstellt in der Wahrnehmung von Zuschauerin und Zuschauer, funktioniert nicht über Metaphorik (die Kettensäge beispielsweise sei eigentlich ein Phallussymbol und dergleichen mehr), sondern über eine Strukturähnlichkeit zwischen Film- und Weltbildern: Wo alles schrecklich ist, ist es gut, vom Schlimmsten zu wissen. Und Bilder des Schlimmsten bekommt man hier zuhauf „When Evil Lurks“ ist ein konsequenter und in seiner Konsequenz nicht zuletzt auch sehr schöner Film.
„When Evil Lurks“. Regie: Demián Rugna. Mit Ezequiel Rodríguez, Demián Salomón u. a. Argentinien 2023, 99 Min.
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