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Mexican Dream

Auf dem Weg in die USA entscheiden sich immer mehr Migranten, in Mexiko zu bleiben. Dort tragen sie einen großen Teil zur Wirtschaftsleistung bei. Doch Kriminalität und Menschenhandel trüben den Mexican Dream

Keine Mauern, kein Grenzschutz, keine Hindernisse bei der Einreise nach Südmexiko. Doch Gewalt von Menschenhändlern ist allgegenwärtig Foto: Luis Antonio Rojas/NYT/Redux/laif

Aus Mexiko-Stadt, Guadalajara, Tijuana und Tapachula Maria Caroline Wölfle

Es ist ein Fluss. Ein ganz normaler Fluss, der hier, am südlichsten Zipfel Mexikos, die Grenze zu Guatemala bildet. Nicht besonders breit, nicht besonders wild, das andere Ufer deutlich zu sehen. Suchiate heißt er, gelegen am Städtchen Hidalgo. Ein unspektakuläres Bild. Wären da nicht die Boote, Flöße aus Lastwagenreifen, als Ruder dient ein langer Stab. Es sind Dutzende. Grenzbewohner transportieren damit Waren von der einen auf die andere Seite. Manche der Flöße sind dagegen vollgepackt mit Menschen. Die Überfahrt dauert kaum zehn Minuten, dann haben sie eine weitere Etappe geschafft: die Einreise nach Mexiko. Ohne Grenzbeamte, ohne Stempel im Pass. Irregulär. Das eint diese Menschen genauso wie die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Sie sind Migranten und Geflüchtete, vor allem aus lateinamerikanischen Ländern, viele aus Honduras und Haiti. Hunderttausende reisen jedes Jahr über Guatemala nach Mexiko ein und weiter Richtung Norden. Ihr Ziel: eigentlich die USA. Mexiko war für Menschen auf der Flucht lange nur Transitland. Doch das ändert sich gerade.

Auch Yunaisy Quintro Hernández ist so nach Mexiko eingereist. Heute geht sie durch eine riesige Lagerhalle in der Industriestadt Guadalajara, in Zentralmexiko. Haushohe Regalwände säumen die Gänge, drei Meter über dem Boden läuft ein Band und transportiert kleine Kartons. Entfernt brummt der Motor eines Gabelstaplers, in den Regalen liegen teils überdimensionale Schraubenschlüssel. Hernández arbeitet seit fünf Monaten bei Urrea, einer großen Firma, die Armaturen, Sanitärprodukte und Werkzeug herstellt. Eigentlich ist sie Krankenschwester. Stattdessen kontrolliert sie momentan in der Verpackungsabteilung die Bestellungen, fast vollautomatisch laufen die über die Fließbänder und werden dann verpackt.

„Ich fühle mich hier sehr, sehr gut“, sagt Hernández. Sie hat die schwarzen Haare auf dem Kopf zum Dutt gebunden, ihre 45 Jahre sieht man ihr nicht an, kaum eine Falte prägt das Gesicht. Sie lacht viel, spricht schnell. „Meine Kollegen sind cool, wie sie mich ‚Cubanita‘ nennen, kleine Kubanerin. Wir lachen viel miteinander. Und ich habe die gleichen Rechte wie eine mexikanische Arbeiterin auch.“

Hernández floh im Februar 2022 aus ihrer Heimat Kuba. Vor der politischen Situation dort, mehr will sie dazu nicht sagen. Mit einem Charterflug ging es für sie nach Nicaragua. Ihr Ziel war Mexiko, von Anfang an.

Hier hat sie politisches Asyl beantragt – und es nach gerade einmal vier Monaten auch bekommen. In die USA wollte sie nie. „Ich höre immer, dass es dort viel Diskriminierung gibt, ohne Englisch bekommt man keinen guten Job“, sagt Hernández. „In Mexiko spricht jeder Spanisch, jeder versteht mich, ich verstehe die Mexikaner. Was soll ich in den USA machen? Quatschi, quatschi … und ich verstehe gar nichts?! Dann bleibe ich lieber in Mexiko.“

Vor allem für Menschen aus Lateinamerika ist das Land attraktiv – sie stammen aus einer ähnlichen Kultur, haben meist die gleiche Religion, sprechen die gleiche Sprache. Das macht es leichter, Fuß zu fassen.

Insgesamt 140.777 Menschen haben im Jahr 2023 Asyl in Mexiko beantragt. Zum Vergleich: 2013 waren es lediglich 1.296. Laut dem UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, gehört Mexiko damit zu den sechs Ländern mit den meisten Asylanträgen weltweit. Das UNHCR geht davon aus, dass zwischen 60 und 80 Prozent jener, die hier ankommen, ein Recht auf Asyl haben, also Geflüchtete sind. Bedingt wird dieser Anstieg auch dadurch, dass es Krisen in immer mehr süd- und mittelamerikanischen Staaten gibt.

Die Fluchtgründe sind vielfältig: fehlender Zugang zu Bildung, Nahrung oder medizinischer Versorgung, Perspektivlosigkeit und vor allem mangelnde Sicherheit. In einer aktuellen Befragung des UNHCR gaben 70 Prozent an, in ihrem Heimatland Gewalt und Verfolgung zu fürchten.

„Ich bin glücklich“, sagt Yunaisy Quintro Hernández. „Ich habe hier so viel erreicht, das hätte ich nie für möglich gehalten.“ Sie hat eine kleine Wohnung gemietet und neben der Arbeit bei Urrea studiert sie noch mal, um auch in Mexiko als Krankenschwester arbeiten zu können. Bald sollen ihre beiden erwachsenen Kinder mit Familie nachkommen.

Dass Hernández in Mexiko so schnell einen Job bekommen hat, hängt auch mit einem UNHCR-Programm zusammen, das Asylbewerber dabei unterstützt, aus dem ärmeren Süden Mexikos in die Industrieregionen in der Mitte des Landes und im Norden zu kommen. Nach eigenen Angaben hat das UNHCR seit 2016 so schon mehr als 50.000 Menschen in Arbeit gebracht. Bei den Firmen sind Asylbewerber gern gesehene Mitarbeiter. Mexikos Wirtschaft geht es momentan gut. In einer Umfrage gaben im vergangenen Jahr fast 70 Prozent der mexikanischen Arbeitgeber an, Probleme zu haben, offene Stellen zu besetzen.

Auch der mexikanische Staat profitiert damit von den Asylbewerbern. Allein jene, die durch das UNHCR Arbeit gefunden haben, erwirtschaften jährlich Steuereinnahmen in Höhe von mehr als 13 Millionen Dollar. Das ist mehr, als das gesamte Budget der mexikanischen Asylbehörde Comar.

An Comar zeigt sich die Widersprüchlichkeit der Flüchtlingspolitik in Mexiko. Einerseits ist die Anerkennungsquote für Asylbewerber hoch, die Gesetze sind weitreichend und über Anträge wird vergleichsweise schnell entschieden. Maximal 90 Arbeitstage darf es laut Gesetz dauern.

Andererseits würde ohne das UNHCR hier nicht viel funktionieren. Das Hilfswerk finanziert 60 bis 70 Prozent des Budgets von Comar. 2023 stoppten die mexikanischen Behörden die Ausgabe von Ausweisdokumenten an Asylbewerber. Vermutlich auch auf Druck aus den USA. Das führte dazu, dass diese kaum noch legal arbeiten, studieren oder auch nur mit öffentlichen Bussen durchs Land reisen können. Auch dadurch sind immer mehr Migranten leichte Beute für organisierte kriminelle Gruppen geworden, die sie erpressen.

Mexiko soll die Geflüchteten von der Grenze zu den USA fernhalten – und tut das auch. Die mexikanischen Behörden karren Menschen regelmäßig in Bussen aus dem Norden weiter in den Süden zurück. „Migrationskarussell“ nenne manche Wissenschaftler das schon. Wie Mexiko mit Migranten und Geflüchteten umgeht, das hat letztlich immer auch mit den USA zu tun. Das Nachbarland übt Druck auf die mexikanischen Behörden aus, was mit der erneuten Präsidentschaft von Donald Trump noch zunimmt. Schon im Januar gab es erste Abschiebeflüge aus den USA nach Mexiko und Guatemala. In Mexiko landen dadurch auch Menschen aus anderen Ländern. Die mexikanische Regierung hätte gerne, dass diese in ihre Heimat zurückkehren. „Aber über 50 Prozent der Menschen, die hier ankommen, haben Anrecht auf Asyl, weil sie vor Gewalt fliehen“, sagt Regina de la Portilla vom UNHCR in Mexiko. Die Zahl der Asylanträge sei im Dezember und Januar deutlich gestiegen.

„Was soll ich in den USA machen? Quatschi, quatschi… und ich verstehe gar nichts?! Dann bleibe ich lieber in Mexiko“

Yunaisy Quintro Hernández floh 2022 aus Kuba

Dabei ist das Land nicht ungefährlich für Geflüchtete. 80 bis 90 Prozent jener, die im Norden Mexikos ankommen, also einmal längs durchs ganze Land gereist sind, sagen laut UNHCR, sie hätten unterwegs Gewalterfahrung gemacht. Die Menschen sind ein lukratives Geschäft für die organisierte Kriminalität in Mexiko. Nicht selten lukrativer als der Drogenhandel. Regelmäßig kommt es zu Entführungen. Insbesondere Frauen und Mädchen müssen zudem sexuelle Übergriffe fürchten. „Migranten sind auch ein Geschäft für die korrupten Leute innerhalb der nationalen Einwanderungsbehörde“, sagt die mexikanische Journalistin Marta Durán de Huerta – also auch für Teile der Polizei und der Nationalgarde, die die Grenze eigentlich überwachen soll. Durán de Huerta beschäftigt sich seit Jahren mit diesem Thema. „Tatsächlich überwachen sie nicht die Grenze, sie administrieren dieses Geschäft mit den Migranten.“

Wer es bis nach Mexiko geschafft hat, schließt sich auf dem Weg weiter nach Norden deshalb meist einer der Karawanen an, die in Tapachula starten. Die Stadt liegt knapp 40 Kilometer entfernt vom inoffiziellen Grenzübergang am Fluss im Süden Mexikos.

Maria Díaz kam vor drei Wochen in Mexiko an, lebt momentan zusammen mit ihrem Mann und ihrem 14-jährigen Sohn in Tapachula in einer Unterkunft für Geflüchtete. Aufeinander gestapelte Container bilden zwei Stockwerke, in einem begrünten Innenhof sitzen Menschen an Tischen und unterhalten sich, von irgendwoher dröhnt Musik. Auf einem Basketballplatz spielen sich Jugendliche eifrig die Bälle hin und her. Alles wirkt auffallend sauber und geordnet.

Maria Díaz ist erleichtert. Kein Wunder, sie hat ihr Ziel erreicht: Mexiko. Díaz heißt eigentlich anders. Sie möchte unerkannt bleiben, aus Angst um ihre Sicherheit. In ihrer Heimat Venezuela verkaufte sie Empanadas und Arepas, also Teigtaschen und Maisfladen. „Das hat ausgereicht, damit wir über die Runden kommen“, sagt sie. Aber Venezuela steckt in einer politischen und wirtschaftlichen Krise, die öffentliche Versorgung findet kaum noch statt, es fehlt an Wasser, medizinischer Versorgung, Strom. „Ich bin zusammen mit anderen auf die Straße gegangen, um dagegen zu protestieren“, erzählt Díaz. „Aber bewaffnete Milizen haben uns vertrieben. Und dann auch angefangen, mich zu bedrohen.“ Die Milizen seien sogar zu ihr nach Hause gekommen. Obwohl die Behörden davon wussten, hätten sie nichts dagegen gemacht.

Also entschlossen sie und ihr Mann sich, aus Venezuela zu fliehen – nach Mexiko. „Meine Mama hat immer mexikanische Filme geschaut, daher kannte ich das“, sagt Díaz lachend. „Dass ich jetzt wirklich hier bin, das ist immer noch wie ein Traum.“

Die Fluchtroute sei dagegen ein Albtraum gewesen. Am schlimmsten sei es im Dschungel an der Grenze zu Panama gewesen, dort waren Díaz und ihre Familie mit einer größeren Gruppe von Flüchtenden unterwegs. „Eine bewaffnete Gruppe hat uns überfallen, festgehalten und ausgeraubt“, erzählt Díaz. „Sie haben die Männer geschlagen und fünf Frauen vergewaltigt, darunter sogar ein Mädchen, das gerade mal zwölf Jahre alt war.“

Dieselben Rechte wie Mexikaner: Die Kubanerin Yunaisy Quintro Hernández ist glücklich hier Foto: Maria Caroline Wölfle

Zwei weitere Male wurde die Familie verschleppt und ausgeraubt. Zuletzt in Guatemala, als sie auf das Floß steigen wollten, um den Grenzfluss zu überqueren. Erst als sie 60 Dollar pro Kopf zahlten, wurden sie wieder freigelassen. Als Zahlungsbestätigung bekamen sie einen Stempel auf den Unterarm. „Ich wusste, dass wir Geld zahlen müssen, um bis nach Mexiko zu kommen. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich solche Gewalt würde miterleben müssen, dass sie uns alles wegnehmen würden, Essen, unsere Kleidung, alle Dokumente.“

Maria Díaz wünscht sich nun vor allem Stabilität und Bildung für ihren Sohn. „In einem Land zu sein, in dem wir morgens, mittags und abends zu essen haben, ein Dach über dem Kopf … für mich ist es schon ausreichend, in meinem eigenen Haus nicht bedroht zu werden.“

Doch das ist auch in Mexiko nicht garantiert. Zwischen 70 und 100 Menschen wurden im Jahr 2024 im dem knapp 130 Millionen Einwohner zählenden Land jeden Tag ermordet oder verschleppt. Die organisierte Kriminalität ist in allen Landesteilen aktiv. Etwa 60 Prozent der Mexikaner in urbanen Regionen fühlen sich laut einer staatlichen Umfrage unsicher Das mexikanische Institut für Menschenrechte und Demokratie schätzt zudem die Zahl der als verschwunden gemeldeten Menschen für das Jahr 2024 auf knapp 120.000. Wer über diese Missstände berichtet, wird selbst zur Zielscheibe. Mexiko gehört laut Reporter ohne Grenzen weltweit zu den gefährlichsten Ländern für Journalisten.

Kein Wunder, dass auch aus Mexiko im Laufe der Jahre Millionen Menschen in die USA ausgewandert sind. Aber vielleicht ist die Gesellschaft hier auch deshalb offen und hilfsbereit gegenüber anderen Migranten. „Mexiko war immer gastfreundlich, einfühlsam, hat alles getan, um den Schwächsten zu helfen“, sagt die Ordensschwester María Magdalena Silva Rentería. Sie sitzt in einem Besprechungsraum mit langem Tisch aus dunklem Holz in Mexiko-Stadt. Vom Erdgeschoss eine Etage tiefer schallt Kinderlärm hoch und ein Wirrwarr aus Stimmen und Gesprächsfetzen.

Schwester Magda, wie sie hier alle nennen, leitet Cafémino, eine Unterkunft für geflüchtete Frauen und Familien. Sie strahlt Freundlichkeit und Autorität aus. Kurzhaarschnitt, bequeme Schnürschuhe, leicht lächelnd. Schwester Magda kennt sich aus mit dem Thema Migration, hat etwa mehrfach die Karawanen begleitet, zu denen sich Migranten zum eigenen Schutz zusammentun. „Auf dem Weg haben uns Menschen immer wieder Essen und Hilfe angeboten.“ Aber auch in der mexikanischen Gesellschaft verändert sich gerade etwas. „Letztes Jahr haben wir zum ersten Mal Ablehnung von den Nachbarn erfahren“, sagt Schwester Magda. „Vorher war es stets ein schönes Zusammenleben.“

Nicht weit entfernt haben Geflüchtete an einem Bahngleis ihre provisorische Unterkunft aufgeschlagen. Zelte und Bretterverschläge, links und rechts vom Gleis, kaum einen halben Meter von diesem entfernt. Es ist ein inoffizielles Flüchtlingslager, von denen es in der Stadt immer mehr gibt. Das löst wiederum mehr und mehr Unmut in der mexikanischen Bevölkerung aus.

„Migranten sind auch ein Geschäft für die korrupten Leute innerhalb der nationalen Einwanderungs­behörde“

Marta Durán de Huerta, Journalistin

Insbesondere gegen solche Lager gibt es zunehmend Protest in der Bevölkerung. Laut einer Umfrage des UNHCR glauben 64 Prozent der Mexikaner, dass Konflikte und Spannungen in der Gesellschaft „sehr“ oder „etwas“ auf Migranten zurückzuführen sind.

Ob die Ablehnung gegenüber Geflüchteten und Migranten weiter zunimmt, hängt wohl vor allem damit zusammen, wie Präsidentin Claudia ­Sheinbaum und ihre Regierung mit dem Thema umgehen. Und ob sie das Land ausreichend darauf vorbereiten, dass Donald Trump seine Drohungen wahr macht – die Grenze der USA noch weiter aufzurüsten und Millionen Migranten abzuschieben. In seiner Antrittsrede sprach er von einer „kata­s­trophalen Invasion“ in die USA, per Dekret erklärte er schon am ersten Tag seiner Amtszeit den nationalen Notstand an der Südgrenze des Landes. Zudem stellte er CPB One ein, eine App, über die Termine für Asylanträge vereinbart werden können. Bereits geplante wurden schlicht storniert.

Im November 2024 hatte Trump behauptet, Sheinbaum habe zugesichert, die Migration über die mexikanische Grenze zu stoppen. Die erwiderte auf X, Mexikos Position bestehe nicht darin, Grenzen zu schließen, „sondern Brücken zwischen Regierungen und Völkern zu bauen“.

Mexiko ist wirtschaftlich von den USA abhängig, exportiert mehr als 83 Prozent seiner Produkte dorthin. Hinzu kommen die Überweisungen von in den USA lebenden Mexikanern, einer der wichtigsten Devisenbringer. Gleichzeitig importieren die USA mehr aus Mexiko als aus China. Trump hatte zwar Anfang Februar Zölle in Höhe von 25 Prozent auf die meisten Importe aus Mexiko angeordnet. Kurz darauf vereinbarte er aber mit dem Nachbarland, die Zölle für 30 Tage auszusetzen. Die Drohung bleibt bestehen.

Schwester Magda hilft Geflüchteten Foto: Maria Caroline Wölfle

Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum erklärte, sie wolle mit den USA zusammenarbeiten, allerdings immer im Interesse des mexikanischen Volkes. Mit Bezug auf Trumps Antrittsrede sagte sie: „Das mexikanische Volk kann sicher sein, dass wir unsere Souveränität und unsere Unabhängigkeit immer verteidigen werden.“ Es sei immer wichtig, „einen kühlen Kopf zu bewahren“.

Das Land versucht, sich auf die vielen Menschen vorzubereiten, die womöglich bald zurückkommen könnten. Mexiko wolle seine Staatsbürger „mit offenen Armen“ empfangen, sagte ­Sheinbaum. Entlang der Grenze zu den USA soll es Willkommenszentren geben. Die Regierung will die Menschen auch finanziell dabei unterstützen, in ihre mexikanischen Heimatorte zurückkehren zu können. Bloß gibt es ja auch die Mexikaner, die aus ihrer Heimat aus Sicherheitsgründen geflüchtet sind. „Es gibt Leute, die sind in Gefahr, wenn sie in ihre Heimatorte zurückgehen“, sagt Regina de la Portilla vom UNHCR in Mexiko. „Wir müssen dafür sorgen, dass sie sich an anderen Orten sicher niederlassen können.“

Bloß wo? Durch die starke Korruption im Land, trauen viele auch den Behörden nicht. Laut der Nichtregierungsorganisation Transparency International liegt Mexiko im Korruptionsindex auf Platz 140 von 180 Staaten. Die organisierte Kriminalität hat großen Einfluss auf die Politik.

Tijuana, im Nordwesten Mexikos, grenzt an die USA. Die Stadt hat schon den Notstand ausgerufen, weil es bald losgehen könnte mit den Abschiebungen. Bis tief ins Meer hinein ragt hier die Mauer, die die Menschen davon abhalten soll, irregulär in die USA einzureisen.

Carlos López sitzt gelassen vor seinem kleinen Kiosk auf dem Gelände einer Geflüchtetenunterkunft in Tijuana. Die meisten, die es bis hier schaffen, wollen auf die andere Seite. „Klar, unser Traum, unser Ziel waren die USA.“ Er ist mit seiner Frau und den drei Kindern aus El Salvador geflohen. Dort hatten sie ein kleines Geschäft. Doch dann begann die Schutzgelderpressung. Mitglieder der Mara Salvatrucha, einer berüchtigen Mafiagruppe, bedrohten ihn. „Sie sagten, sie wüssten, wo meine Kinder zur Schule gehen“, sagt ­López. Das war der Punkt, an dem er und seine Frau entschieden, zu fliehen. Aus Angst, dass die Bandenkriminalität ihn bis nach Mexiko verfolgen könnte, will auch er seinen echten Namen nicht veröffentlicht sehen.

Wie so viele andere überquerten auch López und seine Familie den Fluss im Süden Mexikos und kamen schließlich 2022 in Tijuana an. In Mexiko erhielten sie zwar Asyl. Trotzdem wollten sie in die USA weiter. Den Mythos USA konnte selbst die erste Präsidentschaft von Donald Trump nicht zerstören. „Alle Migranten und Geflüchteten, die ich auf dem Weg hierher getroffen habe, sagten, dass sie in die USA wollen. Ich glaube, es sind vor allem drei Dinge, die die Familien dazu bewegen: Erstens finanzielle Stabilität, zweitens Sicherheit und drittens die beste Ausbildung für ihre Kinder.“ Finanzielle Stabilität, Legalität, aber auch eine gute Ausbildung sind in Mexiko durchaus möglich, zumal vor allem letzteres in den USA teuer ist.

Monatelang wartete auch López darauf, in die USA einreisen zu können. Mit seiner Familie lebte er in der Geflüchtetenunterkunft – ein riesiger Raum, der zu einer Kirche gehört. Am Wochenende finden Gottesdienste statt. Entlang einer Wand aufgereihte Stockbetten, abends werden zusätzlich Matratzen auf den Steinboden gelegt. Bis zu 3.000 Menschen kommen hier unter. Und wer schon einmal da ist, muss mithelfen, egal, was an Arbeit anfällt.

„Wir fingen an, Kaffee und Kekse zu verkaufen“, erzählt Perez. „Ich besorgte eine kleine Thermos­kanne, einen kleinen Kocher, um das Wasser zu erhitzen, eine Kaffeekanne. Ich kann ziemlich gut mit Leuten, als sie mich dann wieder erkannten, sagten sie immer: „Lass uns zu Carlos gehen.“ Die Familie verdiente immer besser. „Und als dann mein Termin für die Ausreise in die USA kam, sagte ich mir, dass ich hier in Tijuana ein Leben habe und bleiben möchte.“

Gut möglich, dass sich angesichts der immer brutaleren Migrationspolitik in den USA trotz allem mehr und mehr Menschen in Mexiko mit diesem Gedanken anfreunden. Und bleiben.

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