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Frieden spielen

Im Unterhaus des Schauspiels Düsseldorf geht Gernot Grünwald mit waffenliebenden Laiendarstellern der menschlichen Lust am Krieg nach

One Shot, one kill – in der Inszenierung fühlt man sich selbst wie im Computerspiel, hinter jeder Ecke wartet eine neue Situation, wie hier der Schauspieler Danny Petrikat als Soldat. Foto: Melanie Zanin

Von Dorothea Marcus

Blutspritzend explodiert der Körper, und weiter geht’s durch zerstörte Häuserschluchten, vorbei an zerstörten Autos und Straßen auf Riesenvideoleinwand. Laienschauspieler Adam Abbas verschmilzt fast mit seiner Computerfigur und der Waffe, duckt sich, schleicht um Ecken, kommt aus jeder Feindeslage souverän wieder raus. One shot, one kill – Punkte prasseln. Derweil sitzt sein Bruder Jad am Bühnenrand und erzählt, wie sehr sie bei jedem Knall im Computerspiel „Call of Duty“ zusammenzucken, weil es sie an jene Granaten erinnert, die in den Straßen von Damaskus ihre Klassenkameraden, Nachbarn, Cousins getötet haben. Und dass sie sich beim Gamen trotzdem so wunderbar entspannen können.

Kriegsspiele als Katharsis? Eigentlich sei diese Ansicht als Unsinn überführt, reflektiert eine Stimme in unser Ohr – denn die Zuschauer tragen Kopfhörer, hören die Stimmen der Darsteller ganz unmittelbar. Aber auch Interviews, die Regisseur Gernot Grünwald und Dramaturg Lasse Scheiba für ihre Inszenierung „Kriegsspiele“ mit dem Düsseldorfer Bürgerbühne „Stadt:Kollektiv“ mit Wissenschaftlern, Aktivisten und Politikern geführt haben. Und weiter geht es in kleinen Gruppen durch das Unterhaus des Schauspielhauses. Erstaunlich, wie düster und verzweigt es sein kann zwischen Kostümkammern und Sprinkleranlagen. Fast fühlt man sich selbst wie im Computerspiel, hinter jeder Ecke lauert eine andere Situation: beim Parkhaus führt uns eine Mutter im asiatischen Kampfanzug ins Nerf-Schießen ein und erzählt, wie sie mit ihren Kleinkindern Krieg auf einer Parkhaus-Etage spielt. Hinter einer Tür hält ein Soldat in Vollmontur eine Waffe auf uns, ein Schockmoment. Dann sichert er geschmeidig für uns die Gänge, winkt uns schützend weiter.

Später, in einem bedrängend engen Lüftungsschacht, erklärt der Soldat, gespielt von Danny Petrikat, dann, wie sehr er davon träumt, als Freiwilliger in den Ukrainekrieg zu ziehen: „Sterben für eine gute Sache“ wäre für ihn kein Problem, Soldatentum ist für ihn Hobby und größte Leidenschaft. Zwischendurch jagen die syrischen Brüder Abbas wie beim Paintball durch dunkle Katakomben, erzählen atemlos, wie es war, in Syriens Straßen unterwegs zu sein – und wie ihr Cousin beim Sterben aussah. Ist es verwerflich, Krieg zu spielen? Ist die menschliche Natur friedlich oder zutiefst aggressiv? Schaffen Waffen Frieden? Ist Frieden erzwingbar? Schier unlösbare Fragen, die da unter dem Kopfhörer erklingen.

Können Waffen nicht auch selbstermächtigend wirken? So wie beim Sportschützen Mirkan Mohr, Spastiker, im Rollstuhl. Mit dem Rücken zu uns sitzt er in einem Gang, erzählt, wie sehr ihm die Waffe ein Gefühl der Freiheit und Verwirklichung gibt: „Ich darf etwas, was andere nicht dürfen“. Neben seiner 9 mm Luger liegt das „Schwarzbuch Waffenhandel“ von Jürgen Grässlin – der schildert, wie Deutschland am Waffenexport kräftig verdient, während der Friede beschworen wird: Tief sind wir in die globale Tötungsmaschinerie verstrickt.Und wie abgestumpft wird man, wenn man täglich in Computerspiel-ähnlichen Bildausschnitten Menschen vernichtet? Lakonisch nimmt uns ein Drohnenpilot in seinen Flug- und Kampfsimulator mit, ja, da ist der Feind, da das Entsetzen – immer exakter zeigen die Bildschirme, was man angerichtet hat: Drohnenpiloten erkranken am häufigsten an PTSD – posttraumatischer Belastungsstörung, hören wir.

Der Mensch scheint verloren, solange er das Spiel liebt und die Macht

Der Mensch scheint verloren, solange er das Spiel liebt und die Macht. Und so wird man in den „Kriegsspielen“ von einer Ambivalenz in die nächste geworfen, taucht tief ein in moralische ­Dilemmata, ist den Fragen durch die intime Situation des Audiowalks geradezu ausgeliefert. Sind Waffen Selbstschutz oder Menschheitsbedrohung? Zum Glück gibt es doch noch jene Tapferen, die an die Möglichkeit und Schönheit von Frieden erinnern.

Im Mittelalterkostüm führt uns Experte Finn Dittmer ins Universum von „Dungeons and Dragons“ ein, das berühmteste aller Tisch-Rollenspiele TRPG, quasi auch eine Form von Theater. Wir würfeln mit und bestimmen die Stärke der Charaktere – Finn allerdings ersetzt die Kämpfe stets durch friedliche Lösungen. Er begreift sich als Friedensaktivist, als Kämpfer für Kommunikation und Fantasie. Es passt, dass wir am Ende von einer seltsamen Zauberfigur im Requisitenlager in eine Friedensmediation geführt werden: durch yogisches Fliegen, hören wir, könnte selbst der Gaza-Krieg gelöst werden – und Soldaten in Ecuador praktizieren die transzendentale Mediation bereits. Das Wort, das wir in uns für Frieden finden, können wir am Ende mit nach Hause nehmen. Und so schwankt man beständig zwischen den Widersprüchen. Es gelingt da in Düsseldorf ein aufwühlender, komplexer und spannender Abend. So tief und vielschichtig ist man selten in Wahnsinn und Aberwitz der eigenen Gattung eingetaucht.

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