: Nur Dünen zwischen uns und dem Feuer
Urlaubsalltag im Anthropozän: In Nina Bußmanns unheimlichem Roman „Drei Wochen im August“ gehen Bäume und Beziehungen in Flammen auf
Von Carsten Otte
Dieses Mal möchte sich Elena nicht mit der Familie absprechen. Weder mit ihrem Ehemann Kolja noch mit ihren zwei Kindern. Als Freundin Ali vorschlägt, sie könne ein freistehendes Haus an der französischen Atlantikküste über den Sommer nutzen, sagt Elena „ohne Nachdenken“ zu. Sie versäumt es zu fragen, warum die schön gelegene Unterkunft in der Hochsaison nicht belegt sei. Die Hintergründe sind ihr gleichwohl bekannt: Alis Partnerin Nana, der das Haus gehört, leidet unter einem bösartigen Hirntumor und liegt im Sterben. Elena denkt sich lediglich: „Auch reichen Leuten passieren traurige Geschichten.“
Die Härte, mit denen sich die Menschen in Nina Bußmanns neuem Roman „Drei Wochen im August“ begegnen, ist nicht zuletzt in den ökonomischen Abhängigkeiten begründet. Ali ist nämlich auch Elenas Chefin, was im Verlauf der Handlung noch eine wichtige Rolle spielen wird. Zunächst aber freut sich die kurzentschlossene Frankreichreisende, Herrin im Feriendomizil zu spielen. Sie hat ihre Haushaltshilfe Eve dazu überredet, in den Urlaub mitzukommen. Elena redet sich ein, mit der ruppigen Angestellten auch eine interessante „Gefährtin“ gefunden zu haben, für Eve sind es vor allem „bezahlte Wochen am Meer“.
Lebenslügen
Aus diesen beiden sehr unterschiedlichen Ich-Perspektiven werden die titelgebenden drei Wochen im August geschildert, und in den zuweilen konträren Sichtweisen auf dieselben Geschehnisse offenbaren sich nicht nur skurrile Eigenheiten, sondern eben auch die Lebenslügen der beiden Figuren. Elena und Eve scheinen sich in ihren Monologen gewissermaßen zu duellieren. Im realen Leben aber können sie sich über ihre Klassengrenzen hinweg nicht wirklich miteinander auseinandersetzen. Was die beiden Frauen allerdings vereint, ist die stupende Fähigkeit, jegliche Gefahren auszublenden und am eigenen Urlaubsprogramm festzuhalten.
In naher Ferne brennen die Wälder, aber der Ferienalltag soll sich nicht ändern: Ausflüge, Sport, Kochen. Ein Ferienflirt, der für unruhige Nächte sorgt, zwischendurch Telefonate mit dem Gatten, der vorerst daheim geblieben ist, weil er noch allerlei zu erledigen hat. Völlig verdrängen lässt sich die Katastrophe trotz aller Betriebsamkeit nicht: „Wir können es riechen. Und natürlich können wir es auch sehen. Keine Berge und keine Felsen sind im Weg, nur Dünen zwischen uns und dem Widerschein der Flammen.“ Die sensible und zugleich völlig ignorante Urlauberin hat sich eingerichtet in ihrer ganz normalen Rücksichtslosigkeit. Die Tochter rechnet aus, wie schnell das Feuer beim Ferienhaus wäre, sollte sich der Wind drehen. Es gibt einen Evakuierungsplan, aber das scheint nicht einmal den informierten und ziemlich aufdringlichen Nachbarn zu beunruhigen. Im Gegenteil. „Im Angesicht des Kollapses habe ich mich immer lebendig gefühlt“, sagt Elena am Ende des ersten Kapitels, und wir ahnen, dass bald nicht nur Bäume, sondern auch Beziehungen in Flammen aufgehen.
Im Fortgang der Geschichte drehen sich die Winde tatsächlich nur im zwischenmenschlichen Bereich, dafür aber umso heftiger. Die Stimmung im Ferienhaus droht ständig zu kippen, das kommunikative Klima wirkt fast noch bedrohlicher als die unkalkulierbaren Wetterextreme. Die Störfaktoren und Spannungen nehmen ständig zu: Mal kommen unangekündigte Gäste vorbei, der Sohn verletzt sich, dann verschwindet Elenas Tochter für ein paar Tage. Die ohnehin psychisch angeschlagene Jugendliche taucht plötzlich wieder auf, ohne zu erklären, wo sie gewesen ist. Ehemann Kolja kann, obwohl das ursprünglich der Plan war, nicht nach Frankreich kommen, weil das Haus in der Heimat unter Wasser steht. Ein attraktiver Mann im Campingmobil entpuppt sich als charakterliche Enttäuschung, und auch auf ihre älteste Freundin kann sich Elena nicht verlassen. Im Krisenfall ist Ali eben doch vor allem Arbeitgeberin, die zwar das Haus in Frankreich mietfrei zur Verfügung stellt, aber auch während der Ferien den Job kündigen kann.
Nina Bußmann: „Drei Wochen im August“. Suhrkamp, Berlin 2025, 319 Seiten, 25 Euro
Das Buch enthält erstaunlich viele Mikrostorys, die sich nahezu unmerklich zu einem erzählerischen Ganzen fügen. Das filigrane Prosageflecht lebt dabei nicht nur von den sozialen und lebensweltlichen Gegensätzen, sondern auch von frappierenden Ähnlichkeiten. Alle Figuren in diesem auf unspektakuläre Weise unheimlichen Roman fallen durch ihre egomanischen Charakterzüge auf. Damit ist wohl ein wesentliches Merkmal des Anthropozäns beschrieben: Statt sich für die Umwelt, für das Wohlergehen aller zu interessieren, kümmern sich die Menschen vor allem um die eigene, kurzfristige Bedürfnisbefriedigung.
Nina Bußmann macht aus diesem Stoff keine moralinsaure Lehrstunde. Sie hat einen detailreichen Ferienroman geschrieben, der unterschiedliche Tonlagen zulässt und selbst in den Gehässigkeiten der beiden Erzählstimmen auch Raum für Humor lässt. Bußmann beweist Gespür für die Psyche ihrer schrecklich einsamen Heldinnen; der Text brilliert zwischendurch auch mit Naturbeschreibungen.
Wie konturscharf die 1980 geborene Schriftstellerin zu erzählen weiß, zeigt sich mit den zahlreichen Nebenfiguren, denen selbst die neunmalklugen Elena und Eve nicht immer auf die Schliche kommen. Ohnehin nehmen gegen Ende des überzeugenden Prosawerks die Uneindeutigkeiten zu. Dieses ästhetische Programm ist auch politisch zu lesen: In den Routinen unseres Alltags lauern die persönlichen und politischen Abgründe.
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