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Belasteter Boden

Der Dokumentarfilm „Bedrock“ von Kinga Michalska spürt den Menschen nach, die auf den Ruinen ehemaliger Konzentrationslager in Polen leben (Panorama Dokumente)

Wo die Vergangenheit und die Gegenwart sich überlagern: Szene aus „Bedrock“ Foto: Hanna Linkowska/Filmoption International

Von Julia Hubernagel

In Berlin ist man gewohnt, mit der Geschichte zu leben. Gar nicht so selten findet man sich in Wohnungen wieder, deren Panoramafenster einen Blick auf den ehemaligen Todesstreifen offenbaren, oder klingelt an Türen, wo der Reichsadler an der Hauswand statt eines Hakenkreuzes eine Hausnummer festhält. Wie es sich auf historisch belastetem Boden lebt, davon handelt auch der Dokumentarfilm „Bedrock“. Die Filmemacherin Kinga Michalska reist dafür an Orte, die wirklich schwer an der Geschichte tragen: die Schauplätze ehemaliger KZs in Polen.

Die Nationalsozialisten brachten den Großteil der europäischen Juden auf polnischem Boden um. Dass im KZ Rosen einst etwa 40.000 Menschen starben, daran erinnert heute jedoch wenig. In den von den Nazis errichteten Gebäuden, hier, in dieser südwestlichsten Ecke Polens, sind Wohnungen untergebracht. Ein kleines Mädchen streift durch die Wiesen, mit einer Freundin telefonierend. Es spielt sich ein kleines Drama ab, denn die Freundin darf nicht raus. Warum nicht, erfährt man, als sich die beiden Mädchen gegenüberstehen, von einer Fensterscheibe getrennt. Das eingesperrte Mädchen lebt in einer psychiatrischen Anstalt, die sich unfassbarerweise im KZ-Außenlager befindet. Ruinen der Vergangenheit, Ruinen der Zukunft: Unweit des einstigen Lagers Großrosen erstrecken sich tote Landschaften. Hier wird großflächig Kohle abgebaut.

Wenn Stätten des rituellen Massenmordes zur bloßen Kulisse des Alltags verkommen, dann ist es womöglich besser, sie verschwinden ganz. Ruhe garantiert das den Toten allerdings nicht. Denn auf dem Gelände des Zwangsarbeiterlagers Starachowice soll eine Autobahn gebaut werden. Umsichtig erklärt der beruflich mit derlei Angelegenheiten befasste Filip Szcze­pánski einem Baggerfahrer, er solle beim Schaufeln auf Knochen achten; hier lägen nämlich 3.000 Menschen begraben.

Es ist auch dieser sympathische, bärenhaft große Mann, der dem Film einen leichteren Anstrich gibt, scheint er doch, obwohl sichtlich getrieben, in sich zu ruhen. Unermüdlich reist er durchs Land, spürt Überreste ermordeter Ju­den:­Jü­din­nen auf und stellt sicher, dass die Knochen begraben werden. Szcze­pánski weiß, dass die Schoah auch Generationen später in den Nachkommen der Überlebenden nachhallt. „Einmal wirst du auch hier sitzen und zum Holocaust forschen“, scherzt er mit seiner Tochter, die noch nicht alt genug ist, um sich an seinem Bürostuhl hochzuziehen.

Dass so einigen Po­l:in­nen nicht besonders viel daran liegt, die NS-Geschichte aufzuarbeiten, macht der Film auch deutlich. Eindrücklich ist das Gespräch, das Michalska wie immer kommentarlos einfängt und das um polnische Kooperation bei dem Massenmord an den Ju­den:­Jü­din­nen kreist. Gefilmt wurde das Gespräch ausgerechnet in Jedwabane, dem Ort, an dem bei einem ­Pogrom 1941 1.600 jüdische Menschen ermordet wurden – und das fast vergessen war. Jedenfalls bis der Historiker Jan Tomasz Gross 2001 die Ereignisse in seinem Buch „Nachbarn“ aufarbeitete und damit eine landesweite Debatte über Antisemitismus in Polen anstieß.

„Letzte Station Auschwitz-Birkenau“, grölt man auf dem Fußballplatz, „hier werdet ihr entsorgt“

Wirklich genug von der Geschichte haben die Be­woh­ne­r:in­nen von Auschwitz. An einer Stelle hört man ein Paar im Auto über Jugendliche schimpfen, die, wenn sie über die Straße gehen, „alle nicht gucken“. Dabei sind natürlich sie es, die niemals gucken, und auch die Kamera zeigt es erst spät, das größte deutsche Vernichtungslager auf der anderen Straßenseite. Indes hat der örtliche Fußballklub das Derby gewonnen. „Letzte Station Auschwitz-Birkenau“, grölt man fröhlich auf dem Rasen, „hier werdet ihr entsorgt.“

Es ist diese Gleichzeitigkeit von Geschichte, von Geschichten, die „Bedrock“ gut vermittelt. Während hier die einen Geschichte vergessen, wird sie an anderer Stelle neu geschrieben. Hunderte von Geflüchteten irren etwa durch die Wälder, die Polen von Belarus trennen, so erzählt es eine unbekannt bleibende Aktivistin. Einige verhungern, erfrieren. Und selbst wenn sie es über die Grenze nach Europa schaffen, Hilfe ist ihnen längst nicht gewiss. Die meisten Dorf­be­woh­ne­r:in­nen nahe der Grenze rufen sofort die Polizei, wenn sie einen Geflüchteten sehen, sagt die Aktivistin. Der Weg zurück über die Grenze – überquert zuvor in wochenlangen Gewaltmärschen – ist plötzlich in einer Stunde zurückgelegt.

22. 2., 13.30 Uhr, Cubix 7

23. 2., 18.45 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain

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