Wahlkampf in Lichtenberg: Bleibt Lichtenberg rot?
Wenn wer in Lichtenberg das AfD-Direktmandat verhindern kann, sind es wohl die Linkspartei. Doch im Bezirk bekannt ist keine der beiden Kandidatinnen.
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Doch in Lichtenberg war einst schon die NPD stark. Bei den Europawahlen 2023 wählten hier 17,5 Prozent der Wähler die AfD, weniger zwar als in Marzahn-Hellersdorf und etwa gleich viel wie in Treptow-Köpenick, aber deutlich mehr als in vielen anderen Bezirken. Und: Alle Gegner der AfD um das Direktmandat in Lichtenberg haben im Bezirk keinen bekannten Namen.
Im Lichtenberger Ortsteil Neu-Hohenschönhausen, der von Plattenbauten geprägt ist und in dem viele sozial benachteiligte Menschen wohnen, wählten bei den Europawahlen 35 Prozent die AfD. Eine AfD-Hochburg? Die oberflächliche Betrachtung trügt. Tatsächlich ist Neu-Hohenschönhausen eher eine Hochburg der Nichtwähler. Die Wahlbeteiligung lag bei den Europawahlen nur bei knapp über 50 Prozent. Hier plant der Berliner Senat, mehrere Geflüchtetenunterkünfte zu errichten. Für die AfD, aber auch für das BSW, das in Lichtenberg als bisher einzigem Bezirk eine eigene BVV-Fraktion hat, war dies im vergangenen Jahr bereits ein Dauerthema.
Wenn jemand das AfD-Direktmandat verhindern kann, dann ist das am ehesten die sich im Aufwind befindende Linke. Sie schickt in ihrer traditionellen Hochburg ihre Co-Bundesparteichefin Ines Schwerdtner ins Rennen. „Eine, die sich kümmert“ – das wird zumindest plakatiert. Doch die in Sachsen geborene und in Hamburg aufgewachsene Publizistin ist in Lichtenberg wenig vernetzt und bekannt.
Strategie Haustürwahlkampf
Die langjährige Wahlkreisabgeordnete Gesine Lötzsch, die nicht erneut antritt, hat in einem Brief an alle Lichtenberger Haushalte um die Erststimme für Schwerdtner geworben, um das AfD-Direktmandat zu verhindern. Doch selbst einfache Mitglieder der Linkspartei wissen im Berliner Osten manchmal nur wenig über ihre neue Parteichefin und Direktkandidatin.
Der Berliner Osten ist für die Linke überlebenswichtig: Es waren unter anderem die Direktmandate von Gesine Lötzsch und Gregor Gysi im benachbarten Treptow-Köpenick, dank der die Linken es 2021 in den Bundestag schaffte. Sollte die Partei, die bundesweit laut Umfragen derzeit um die 7 Prozent liegt, an der Fünfprozenthürde scheitern, dann wäre das Direktmandat von Schwerdtner wichtig für den Bundestagseinzug.
Das wissen die Wahlkämpfer der Linken. In den Ortsteilen Friedrichsfelde, Fennpfuhl, Neu-Hohenschönhausen und im Weitlingkiez führen sie schwerpunktmäßig ihren Haustürwahlkampf durch. „Wir haben an 63.000 Haustüren geklingelt“, sagt Antonio Leonhardt vom Bezirksvorstand. „Wir“ – das seien rund 800 Ehrenamtler. Seit Jahresbeginn verzeichnet die Linke auch in Lichtenberg einen riesigen Mitgliederzuwachs. Zu einst 850 Mitgliedern seien 300 neu hinzugekommen und der Mitgliederzuwachs halte an, so Leonhardt.
„Es sind überwiegend junge Leute zwischen 20 und 35 Jahren, die zu uns kommen und sie gehen auch sofort in die Aktion, das heißt, sie machen beim Haustürwahlkampf mit.“ Oder auch andersherum: Sie beteiligten sich zuerst am Haustürwahlkampf und würden möglicherweise später in die Partei eintreten. Leonhardt: „Preissteigerung, Mieten und Renten sind die Themen, die den Bürgern unter den Nägeln brennen. Auch der Frieden spielt eine Rolle. Mit großem Abstand folgt dann das Thema Migration.“
Zwei „von hier“
Die Linke erinnert sich derzeit wieder ihrer Stärken aus den 1990ern als PDS: Da war sie die „Kümmererpartei“, die sich der vielen kleinen Themen vor der Haustür annahm. „Das haben wir vernachlässigt“, sagt Leonhardt. „Das tun wir jetzt wieder mehr, beispielsweise mit einer Mieterberatung.“
Nach dem Vorbild der österreichischen KPÖ verzichtet Ines Schwerdtner als Parteichefin auch auf einen Teil ihres Gehaltes. Alles, was über 2.700 Euro netto liegt, fließt in einen Fond, aus dem soziale Projekte unterstützt werden. So will sie es auch mit ihren Diäten als Bundestagsabgeordnete halten, hat sie erklärt. Soziale Themen sind ihr wichtig, genau wie die Ablehnung jeder Erhöhung des Rüstungsetats.
Glaubt man den im kommunalen Raum nur vage aussagekräftigen Umfragen, dann liefern sich AfD und Linke derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das Lichtenberger Direktmandat. Ihre wichtigsten Kontrahenten, CDU und BSW, haben allerdings die Schwachstellen beider Parteien klar analysiert: Beide werben mit Direktkandidatinnen, die Lichtenberg wenig kennen. CDU und BSW stellen darum in den Vordergrund, dass ihre Kandidaten Danny Freymark und Norman Wolf „von hier“ sind und wüssten, was Lichtenberger und Hohenschönhausener bewegt.
CDU-Mann Freymark ist in Neu-Hohenschönhausen aufgewachsen und Mitglied des Abgeordnetenhauses. Auch Freymark stellt sich gegen die Pläne zur Unterbringung Geflüchteter in Hohenschönhausen. Sollte Freymark das Direktmandat erringen, könnte er allerdings ein trauriger Gewinner werden. Denn die CDU könnte in Berlin mehr Direktmandate gewinnen als ihr Mandate zustehen. Und da geht neuerdings leer aus, wer sein Direktmandat nur knapp gewonnen hat.
BSW-Mann selbst der CDU zu hart
Auch Norman Wolf, Direktkandidat des BSW und derzeitiger Chef der BSW-Fraktion in der BVV, positioniert sich gegen jegliche Pläne zur Unterbringung von Geflüchteten. Im Lichtenberger Bezirksparlament hat sich das BSW schon gemeinsam mit der AfD für Wachschutz an Schulen ausgesprochen.
Wolfs Ex-Genosse Antonio Leonhardt wundert sich über die rechten Parolen von Wolf. „In der Verkehrspolitik war er auch früher Anhänger von viel Beton und stand quer zu den Linken. Aber dass er jetzt sogar die CDU rechts überholt, das hätte ich niemals für möglich gehalten.“ Leonhardt spielt auf einen Antrag des BSW in der BVV an, Metalldetektoren vor Lichtenberger Schulen zu installieren, damit Schüler und Lehrer nicht zu Opfern von Messerangriffen werden können. „Da hat auch die CDU nicht mitgestimmt.“
Ob die Verwurzelung von CDU und BSW im Bezirk bei der Wahlentscheidung eine ausschlaggebende Rolle spielen wird, sei dahingestellt: In der Vergangenheit konnte die AfD mit unscheinbaren Kandidaten gute Ergebnisse einfahren. Auch der Auftritt von US-Vizepräsident Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz vor wenigen Tagen war Wasser auf ihre Mühlen. Beim Wahlkampf am Samstag vor dem Eastgate-Einkaufszentrum im benachbarten Marzahn bot der reichlich Zitierfähiges. Das kam bei den rund 200 Zuhörern, überwiegend ältere Menschen, gut an.
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