: Nüchterne Analyse statt lautem Geschrei
Mit ihrem Newsletter liefern die Journalisten Martin Fehrensen und Simon Hurtz seit über zehn Jahren Einblicke in die Funktionsweise sozialer Medien. Sie bringen ihren „Social Media Watchblog“ zum taz lab
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Von Joel Schmidt
Dass es keine gute Idee sein könnte, die Kontrolle der globalen Kommunikationsplattformen in die Hände einiger reicher Konzernchefs zu legen, wussten Martin Fehrensen und Simon Hurtz schon lange. Schließlich beschäftigen die beiden sich seit über einem Jahrzehnt ausführlich mit den sozialen Medien. Anfangs noch als Hobby, haben sie sich mit ihrem Projekt „Social Media Watchblog“ mittlerweile erfolgreich selbstständig gemacht. Erst kürzlich verschickten sie die tausendste Ausgabe ihres zweimal wöchentlich erscheinenden Newsletters.
Weder die Regression des einstmals beliebten Kurznachrichtendienstes Twitter zur Kloake libertärer bis extrem rechter Positionen unter Elon Musk, noch die Anbiederung der restlichen Tech-Broligarchie des Silicon Valley an US-Präsident Trump kam für sie überraschend. Die meisten Social-Media-Plattformen funktionieren nach der einfachen Regel: Am meisten Aufmerksamkeit bekommt, wer am lautesten schreit. Würden die beiden sie befolgen, könnten sich Fehrensen und Hurtz nun hinstellen und mit vor Stolz geschwellter Brust verkünden, dass sie diejenigen seien, die es ja schon immer gewusst hätten. Und vor allem, dass sie es seit 2012 bereits zigfach ins Internet geschrieben haben. Doch genau das tun die beiden Journalisten nicht. Stattdessen liefern sie Woche für Woche fundierte Analysen zu den aktuellen Entwicklungen rund ums Thema Social Media. Immer getreu dem Versprechen, so Gründer Martin Fehrensen, dass wer ihr Briefing liest, „wirklich im Bilde ist, was da draußen gerade passiert und nicht selber noch die 150 Quellen und Plattformen im Blick haben muss“. Ob das immer Spaß macht? „Ich habe jetzt noch 30 Tabs in meinem Browser offen, das muss ich alles noch lesen und dann in den nächsten drei Stunden aufschreiben“, antwortet Simon Hurtz. Und meint damit: Nein.
Gewisse Ermüdungserscheinungen sind beiden nicht fremd. Woran das liegt? Etwa daran, „dass wir manchmal das Gefühl haben, schon alles siebenmal gesagt zu haben und auch einfach einen alten Newsletter verlinken könnten und bei den Plattformen nur Facebook durch Tiktok ersetzen müssten“, sagt Hurtz. An anderen Tagen, bemerkt Fehrensen, mache sich schlichtweg eine gewisse Frustration breit. Dann fragt er sich, „warum die Leute eigentlich immer wieder die selben Fehler auf Social Media machen?“
Wer mit analytischer Schärfe die Wechselwirkungen zwischen Social-Media-Debatten und dem gesellschaftlichen Diskurs betrachtet, darf auch vor Kritik der eigenen Profession nicht haltmachen. Gerade im Umgang mit Rechtspopulisten mahnen die beiden zu einer Rückbesinnung auf grundlegende Erkenntnisse der Medienkompetenz. Ein erster Schritt könnte dabei sein das eigene Tun und Handeln auf den Plattformen zu hinterfragen. Rechte Akteure weltweit verstünden schließlich nur zu gut die Empörungslogik, nach der die sozialen Medien funktionieren, für sich zu nutzen. Da könnte es schon helfen, sich zu überlegen, ob man deren Inhalte wirklich teilen möchte und somit ihren Ideen noch mehr Raum gibt.
Heutzutage bilden Reichweite, Klicks, Likes und Shares das Fundament für ganze Geschäftszweige. Sie können maßgeblich mit über den Aufstieg und Fall von Persönlichkeiten, Prominenten, Politikern und Parteien entscheiden, ohne dass die von den Plattformen erhobenen Daten tatsächlich von unabhängigen Dritten überprüft werden könnten. Fehrensen fasziniert es noch immer, „dass wir uns irgendwann mal darauf verständigt haben, all diesen Mechanismen so viel Glauben und Bedeutung beizumessen. Da ist so viel Oberflächlichkeit dabei.“ Schaue man sich die Entwicklungen der großen Plattformen rückblickend an, ließe sich feststellen, dass gewisse Prozesse stets nach einem ähnlichen Muster verliefen. Plattformen wachsen, indem sie zunächst die Interessen der Nutzer:innen bedienen, doch im Verlaufe der Zeit überlagern die Interessen der Werbekunden die ursprüngliche Nutzungsfunktion, bis „am Ende die Eigentümer nur noch das machen, was sie selbst wollen“.
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