es bleibt ja kompliziert #4: Weitermachen auf unbestimmte Zeit
Was, wenn sie inzwischen abgeschoben worden sind?“, sage ich und schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. Meine Kollegin und ich warten in dem Jugendtreff, in dem wir arbeiten. „Vielleicht sind sie auch einfach nur zu spät“, antwortet sie. Wir wollen einen Ferienausflug in die Kletterhalle machen, aber drei Kinder aus der Gruppe fehlen.
Die drei Geschwister sind vor einem Jahr nach Deutschland gekommen. Seitdem hängen sie fast täglich mit ihren Freund*innen bei uns rum. Nun soll ihre Familie abgeschoben werden. Deutschland sei laut der sogenannten Dublin-Verordnung nicht zuständig für ihr Asylverfahren, so steht es in dem Brief des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Der Brief ist nichts anderes als ein „Wir wollen euch loswerden“, sauber verpackt in dem berüchtigten gelben Umschlag des BAMF. Wer den bekommt, kann jederzeit von der Polizei abgeholt und in ein Flugzeug gesetzt werden – ohne vorherige Ankündigung.
Die Kinder wissen das. Seit Erhalt des Briefes ist ihr Leben in Deutschland ein Weitermachen auf unbestimmte Zeit. Sie gehen weiterhin morgens in die Schule, kommen danach zu uns oder gehen zum Fußballtraining. Sie streiten sich weiter darüber, wer zuerst an die Playstation darf, und planen ihre Ferien. Ohne zu wissen, ob sie bis dahin überhaupt noch hier sind. Manchmal erzählen sie uns, wie sehr diese Ungewissheit sie belastet. Natürlich versuchen wir dann – so gut es geht – ihre Gefühle aufzufangen. Besser wäre, es gäbe für derartige Situationen eine psychologische Begleitung.
Wenn wir uns nicht gleich auf den Weg machen, kommen wir zu spät zum Klettern. Ich schaue auf die Uhr. Gerade, als sich Wut und Traurigkeit in mir breit machen, kommen die Geschwister zur Tür hereingerannt. „Mein Bruder hat verschlafen!“, erklärt die Jüngste.
Nisa Eren
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