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Archiv-Artikel

Masochistische Mutproben eines Losers

Bekennende Fans: „Radio Hochsee“ lud zu einem Muppets-Spezial-Abend mit Gonzo ins Kaffee Burger ein. Der war entschieden stärker als die Experten, die ihn vorstellten, und somit endlich mal der wahre und alleinige Held

Der Typ sieht geknickt aus. Die riesige sichelförmige Nase sagt alles über Gonzo, dieses Häufchen Elend aus der Muppet-Show, zusammengehalten von zerzaustem blauem Flokati-Fell. Die großen Glupschaugen mit den schweren Lidern starren die Nase an, als begriffen sie – im Gegensatz zu Gonzos Hirn –, dass jemand, der aussieht „wie ein gerupfter Truthahn“ mit verkrüppeltem Schnabel (O-Ton Miss Piggy), nicht das Zeug zum Helden hat wie sein Freund Kermit, der gegen Gonzo glatt und makellos wirkt.

Nichts ist öder als strahlende Helden. Und genau deswegen war nicht Kermit, sondern Gonzo am Mittwochabend Star von „Radio Hochsee“, diesem unverzichtbaren Forum für vermeintlich Überflüssiges im Kaffee Burger. Veranstalter Falko Hennig hatte den Experten Jörg Tensing zu einem Gonzo-Themenabend eingeladen.

Gonzo selbst hätte wohl gleich die Arena gemietet. Er leidet unter maßloser Selbstüberschätzung, tritt als „Der große Gonzo“ in der Muppet-Show auf, frisst einen Autoreifen vor Millionenpublikum, ringt mit verbundenen Augen mit einem Ziegelstein oder fängt eine Kanonenkugel mit der bloßen blauen Hand. Gonzo will allen beweisen, was in ihm steckt, zementiert jedoch durch seine masochistischen Mutproben nur sein Loser-Image. Gonzo, 1976 zum ersten Mal in der Muppet-Show aufgetreten, nimmt „Jackass“ vorweg und den Film „Fight Club“, in dem junge Männer einander verprügeln, um sich endlich mal wieder selbst zu spüren. Gonzos Selbstverstümmelungen sind ein Schrei nach Liebe. Bei Frauen beißt er auf Granit, selbst bei der mannstollen Miss Piggy.

Jörg Tensings Zuneigung zu Gonzo ist aufrichtig. Auch er kann sich der Projektionsfläche, die Gonzo fürs eigene alltägliche Scheitern birgt, nicht entziehen. Man lacht über ihn, aber letztlich gilt das Gelächter einem selbst. Seit seinem fünften Lebensjahr, bekannte der 1967 geborene Drehbuchautor, ist er Muppet-Fan, seit er die Figuren des Puppenbauers Jim Henson zum ersten Mal in der Sesamstraße gesehen hat. Im Unterschied zu vielen anderen, die sich irgendwann zu erwachsen fühlen, um Puppen beim Spielen zuzuschauen, sei er „einfach dabeigeblieben“.

„Radio Hochsee“ widmete sich bereits zum vierten Mal den Muppets. Gonzo, die von Henson-Freund Dave Goelz erdachte und gebaute Puppe, wurde als erste Muppet-Figur mit einem eigenen Abend gewürdigt. Es würde ihm sicher gefallen, denn auch wenn Schlaumeier das Gegenteil behaupten: Gonzo lebt! Etwa 50 Erwachsene (!) zahlten gerne 4 Euro Eintritt für ein Wiedersehen mit dem blauen „Was auch immer“.

„Ich glaube, Gonzo sollte ein Hahn werden, aber es hat irgendwie nicht geklappt“, trug Tensing zu den Spekulationen um Gonzos Spezies bei, die eigentlich seit dem Kinofilm „Muppets from Space“ (1999) beendet sind. Gonzo ist ein Außerirdischer, dabei aber mindestens genauso menschlich wie Alf. Diesen Eindruck bestätigten die vom Gastexperten liebevoll zusammengestellten Muppet-Show-Ausschnitte, die jeden Cent des Eintrittspreises wert waren.

Entbehrlich hingegen war das überwiegend konfuse Geplänkel zwischen Tensing und Hennig. „In der ständigen Wiederholung wirkt es ziemlich enervierend“, erklärte Gastgeber Hennig dem Publikum, warum er beim Wechseln der DVDs immer wieder aufsprang, um den Ton leiser zu drehen. Er meinte zwar die Endlosschleife der Titelmelodie, mit der das Menü der DVDs unterlegt ist, doch gilt dieser Satz auch für das Gespräch, in dem der Gastgeber offenbar Spontaneität mit mangelnder Vorbereitung verwechselte – nerviges Hintergrundrauschen für einen tragikomischen Abend. Um mit Kermits Worten zu schließen: Applaus, Applaus, Applaus!

DAVID DENK