piwik no script img

Archiv-Artikel

Muskeln aus Stahl

Das komische Werk des Tausendsassa Ernst Kahl ist in Frankfurt am Main zu besichtigen

Das hässlichste aller Museen in Frankfurt am Main ist das Historische. Ein Betontrumm, der sich vom Römerberg in Richtung Main bestimmt nicht erstreckt, sondern klobig zusammenknautscht, aufbockt. Drinnen gibt es allerhand Gerümpel und Kram, den kein Mensch sehen will. Doch seit die Kasseler Caricatura hier, mitten im Histo-Muff, eine Art Zweigstelle errichtet hat, finden sich immer wieder Perlen im Ausstellungsprogramm.

Den meisterhaft komischen Bildern von Ernst Kahl kann auch die trostloseste Museumsarchitektur nichts anhaben. „Tafelspitzen“ heißt die Ausstellung, weil die Bilder sich im weitesten Sinne mit kulinarischen Themen beschäftigen. Und jeder, der die Bilder betrachtet, wird staunen über diesen Kosmos an schönen, wunderbar bizarren Einfällen.

Ernst Kahl setzt Wörter und Sprichwörter geradewegs ins Bild, ohne übertragene Bedeutung. Viele Köche verderben ihm den Brei, weil sie mit ihren Löffeln und verschmierten Mützen in einem großen Breitopf wie in einem Pool herumplanschen, sich untertunken und mit den Holzlöffeln gegenseitig eins überziehen. Dem einen hängt die Zunge in den Brei, dem anderen ist die Brille verrutscht, und der dritte guckt nur noch mit der Nase heraus. Doch damit nicht genug: Der Breitopf treibt mit anderen Töpfen auf dem Meer. In den anderen Töpfen sitzen aber nur vereinzelt glückliche Köche in ihrem Eigenbrei und glotzen zu der Breischlacht der vielen Köche herüber. Wer weiter guckt, findet immer mehr skurrile Details, freut sich über die Farben, die fein gemalten und herrlich grotesken Gesichter.

Mit Kahl machen ausgelutschte Sprichworte Spaß: Die beleidigte Leberwurst steht mit roter Nase, hängenden Mundwinkeln und dünnen Ärmchen in der gekachelten Ecke der Metzgerei und schmollt vor sich hin, während die anderen Würste lustig Ringelreihen im Kreis tanzen, sich die Hände reichen und dazu Ziehharmonika spielen. Oft lässt Kahl das Unheimliche einziehen in seine Bilder. Wer einmal sein Gemälde zum Sprichwort „Das Auge will mitessen“ gesehen hat, wird diesen Spruch nicht mehr so gern benutzen.

Ein Windstoß, so sieht es der Betrachter, muss von außen das Fenster aufgedrückt haben. Der Vorhang flattert im Wind und die Lampe sträubt schief sich vom Fenster weg. Am Esstisch, die Familie lässt alles fallen, Gläser, Besteck fällt zu Boden, die Katze flüchtet mit gesträubtem Fell. Im Fensterrahmen, dem Ort von dem sich perspektivisch alles wegbiegt, lehnt das Auge und zeigt mit grünlichem Finger auf seinen geöffneten Piranhamund, denn: Es will mitessen.

Das ist genial – das ist Ernst Kahl, und das ist lange noch nicht alles. Kahl ist als Multitalent auch noch Songschreiber, Filmemacher, Musiker, Drehbuchautor und Schauspieler. Letzteres zum Beispiel in dem Film „Gloomy Sunday“ von Rolf Schübel, wo Kahl eine Leiche spielte, und in dem Detlev-Buck-Film „Wir können auch anders“, für den Kahl das Drehbuch schrieb. Zusammen mit Hardy Kayser hat Ernst Kahl die Platte „Im Kühlschrank brennt noch Licht“ gemacht. Ein Klangwerk, das mindestens ebenso angenehm verschroben ist wie Kahls Bilder. „Sieh nur, im Kühlschrank brennt noch Licht – ist das nicht ein Zeichen von Hoffnung und Zuversicht“, singt Kahl da, und man ist geneigt, ihm beizupflichten.

Es folgte die Platte „Der Cowboy weint“. Lieder, mit solch erschütternden Songzeilen wie „Auch wenn du dich vor dir selber genierst / tröste dich, du reinkarnierst“ vergisst man so schnell nicht wieder. Auch sich selbst weiß der Meister aus Hamburg zu besingen: „Kahl, Ernst Kahl, goldenes Herz, Muskeln aus Stahl“. Ende Mai treten Kahl und Kayser in Frankfurt auf. Dann wäre es möglich, die komische Wucht der Lieder und die der Kahl’schen Malerei an einem Tag zu erleben.

Schlechte Laune kann man dann nicht mehr haben. Schon das Betrachten des Bildes „Sauregurkenzeit“ reicht aus, um alle Miesepetrigkeit abzulegen: ein Marktplatz voller Gurken mit Händen, Gesichtern und lächerlichen Füßchen. Gurken, die sehr, sehr sauer sind. Sie keifen mit gebleckten Zähnen, tippen sich an die Stirn, fuchteln mit Stöcken, ramentern mit erhobenem Zeigefinger, kneifen die Augen zusammen, sind außer Rand und Band. Das ganze Gemälde ist in Aufruhr, überall wird gezetert. Selbst die Katze auf dem Dach hat einen grünen Gurkenschwanz, der sauer auf die Katze guckt – und am Himmel schwebt der Gurkenzeppelin. Wer nach dem Betrachten eines solchen Meisterwerks noch sauer ist, dem ist nicht zu helfen. Allen anderen hilft Ernst Kahl.

MATTHIAS THIEME

Die Ausstellung „Tafelspitzen“ ist noch bis zum 31. Juli im Historischen Museum in Frankfurt am Main, Saalgasse 19, zu sehen. Täglich außer Montag