piwik no script img

Archiv-Artikel

UN-Reform – ein Schritt nach vorn

Mit seinen Vorschlägen zu einer UN-Reform nimmt Kofi Annan ernst, dass Frauen und Männer unterschiedliche Interessen haben. Von seinen Kritikern wird das oft übersehen

In den meisten bewaffneten Konflikten dieser Welt tragen Männer Waffen und geben Befehle

Die UNO ist ein Männerclub, in dem fast alle leitenden Positionen männlich besetzt sind, und der UN-Sicherheitsrat ist es erst recht: Nur in Ausnahmefällen redet mal eine Frau. Wer meint, es sei nicht wichtig, ob dort Männer oder Frauen agieren, irrt gewaltig.

Die gesamte Politik der Vereinten Nationen ist männlich geprägt. Unter den Blauhelmen stecken Männer, die vielleicht den Frieden schützen, aber die Prostitution und die HIV-Ansteckungsraten in die Höhe schnellen ließen. Beispiel: Kambodscha, Bosnien, Liberia. Der Aufbau von UN-Flüchtlingslagern wird von Männern geplant, die regelmäßig vergessen, für genügend Binden und Babynahrung zu sorgen, obwohl Frauen und Kinder die große Mehrheit der Flüchtlinge stellen. Beispiel: Westafrika. Und beim Wiederaufbau staatlicher Institutionen in Nachkriegsländern sind es wiederum Männer, die nicht daran denken, Frauenquoten für Regierung, Parlament, Justiz und Polizei aufzustellen, was dazu führt, dass Frauenrechte nicht gewährleistet und sexualisierte Kriegsverbrechen nicht aufgeklärt werden. Beispiel: Kosovo und Afghanistan. Die Straffreiheit für Verbrecher und Vergewaltiger aber ist ein wichtiger Grund dafür, dass viele überwunden geglaubte Konflikte irgendwann wieder aufbrechen.

Das alles spielt in der Kritik an den UN-Reformvorschlägen kaum eine Rolle. Deshalb werden auch die Chancen übersehen, die sich aus den von Kofi Annan vorgelegten Reformvorschlägen ergeben.

Es steht außer Zweifel, dass sich in der Struktur und der Wirkungsweise der Vereinten Nationen etwas ändern muss. Aber vorrangig aus Frauensicht sind nicht die „nationalen Sicherheitsinteressen“ oder ihre Kritik, also ob Deutschland einen Sitz im Sicherheitsrat erhalten sollte oder nicht. Wichtiger ist, die Arbeit des Sicherheitsrates transparenter zu gestalten. Er sollte darauf verpflichtet werden, das große Wissen der Frauen und der Zivilgesellschaften über Konfliktdeeskalation stärker einzubeziehen, etwa durch informelle Treffen.

Aus Frauensicht ist es ein großer Fortschritt, dass Kofi Annan einen neuen, ganzheitlichen Sicherheitsbegriff aufgreift, der anerkennt, dass Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte – und damit auch Frauenrechte – unabdingbar miteinander verknüpft sind. Die Internationale Frauenliga, eine der ältesten Frauenfriedensorganisationen der Welt, setzt sich mit anderen schon seit zehn Jahren dafür ein, dass das – in Abkehr von nur militärisch verstandener Sicherheit – seit 1995 auf UN-Ebene ausgearbeitete Konzept der „menschlichen Sicherheit“ endlich auf die Prioritätenliste aller UN-Mitgliedsstaaten genommen wird.

Im Hinblick auf die UN-Reformvorschläge hieße das, dass auch in neu aufzubauenden Gremien wie der „Kommission für Friedenskonsolidierung“ an oberster Stelle stehen sollte, Sicherheit nicht mehr entlang nationaler Grenzen zu definieren, sondern für jeden einzelnen Menschen auf der Erde zu schaffen. „Menschliche Sicherheit“ schließt Geschlechtergerechtigkeit ein und ist gekoppelt an die Verpflichtungen, die die Regierungen mit der „Pekinger Aktionsplattform“ und der Frauenrechtskonvention übernommen haben. Für Frauen und Mädchen bedeutet „menschliche Sicherheit“ auch, in ihren eigenen vier Wänden vor häuslicher und sexualisierter Gewalt sicher sein zu dürfen. Wenn dieses Konzept auf Länder wie beispielsweise Afghanistan konsequent angewandt würde, dann müssten die dort eingesetzten Friedenstruppen ihre Prioritäten völlig neu ausrichten.

Die neue Kommission für Friedenskonsolidierung wird nur dann erfolgreich arbeiten können, wenn bereits in ihrem Mandat verankert wird, dass die Zivilgesellschaften sie beraten sollen. Zudem muss sie die Verwirklichung von Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats – die volle Partizipation von Frauen auf allen Ebenen von Friedensprozessen – als Teil ihrer Arbeit ansehen.

In den meisten bewaffneten Konflikten auf dieser Welt tragen Männer Waffen und geben Befehle, Frauen nicht. Kofi Annans Empfehlung, neu zu definieren, wann genau eine militärische Intervention als letztes Mittel angewandt werden darf, könnte ein positiver Schritt in Richtung Gewaltverzicht sein. Vorher müssen in Übereinstimmung mit der UN-Charta aber alle Versuche friedlicher Konfliktlösung voll ausgeschöpft werden. Das heißt unter anderem, politische Verhandlungen zu führen, an denen die Frauen und die Zivilgesellschaften der jeweiligen Länder in allen Konfliktphasen beteiligt sind.

Hier wäre daran zu erinnern, dass die weltweite Abrüstungsverpflichtung, die unter anderem in Artikel 26 der UN-Charta formuliert wurde („dass von den menschlichen und wirtschaftlichen Hilfsquellen der Welt möglichst wenig für Rüstungszwecke abgezweigt wird“), endlich umgesetzt werden muss. Seit ihrer Gründung hat die Frauenliga die totale und universelle Abrüstung eingefordert und gegen Atomwaffen gekämpft. Ihre Vertreterinnen haben diese Forderungen gerade wieder in New York anlässlich der Verhandlungen um den Vertrag zum Verbreitungsverbot atomarer Waffen bekräftigt.

Es wäre ein großer Fortschritt, wenn die Staatengemeinschaft anerkennen würde, dass die wachsende Bedrohung durch nukleare Proliferation eindeutig unter die von Kofi Annan vorgeschlagene, zu begrüßende Terrorismusdefinition fällt. Schließlich sind Nuklearwaffen dazu angelegt, die „Bevölkerung einzuschüchtern und von Regierungen zu erzwingen, irgendetwas zu tun oder zu lassen“.

Unterstützenswert ist aus Frauensicht auch die von Kofi Annan erneut vorgelegte Forderung nach einer Erhöhung der Entwicklungshilfe der reichen Staaten auf 0,7 Prozent ihres Bruttosozialproduktes. Nur ein gerechtes Welthandelssystem, das alle Menschen in Würde leben lässt und gerade auch Frauen gleichberechtigt Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen garantiert, könnte hier Abhilfe schaffen.

Aus Frauensicht ist es ein Fortschritt, dass Annan einen neuen, ganzheitlichen Sicherheitsbegriff aufgreift

Kofi Annan will die UN-Menschenrechtskommission auf einen „Menschenrechtsrat“ verkleinern, um ihrem Glaubwürdigkeitsverlust durch zu viele Menschenrechtsverletzer in ihren Reihen entgegenzuwirken. Als Frauenliga sind wir alljährlich auf der Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen in Genf präsent, fordern gegen den politischen Willen verschiedener Mitgliedsstaaten immer wieder „Frauenrechte als Menschenrechte“ ein und laufen Sturm gegen Massenvergewaltigungen und andere Menschenrechtsverletzungen an Frauen in Krisengebieten.

Ein verkleinerter Menschenrechtsrat birgt die Gefahr, ein Club der reichen weißen Staaten zu werden, der lautstark die Verwirklichung der politischen Menschenrechte einfordert und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte hintanstellt. Gerade dies gefährdet aber in hohem Maße die Gleichberechtigung und den Schutz von Frauen im Süden.

HEIDI MEINZOLT