: Kein Fußbreit den Schlafittchen!
Karnevals- oder Demonstrationszug? Im Rheinland ist das nicht immer ganz leicht zu unterscheiden
Von Christian Bartel
Ich verstehe nichts von Politik. Das wird mir schnell klar, als ich mich in die Demonstration gegen rechts eingereiht habe. „Kein Fußpilz am Schlafittchen!“, röhrt – jedenfalls nach meiner Interpretation – der Einpeitscher am Zugweg in ein kaputtes Megafon. Dieser Slogan ist mir neu, obwohl Urheber und Gerät sicher schon seit den frühen achtziger Jahren gegen den Faschismus auf den Beinen sind.
„Das ist auch für mich heute die sechste Demo“, empört sich ein Vertrauenslehrer mit Pappschild gegen Hass und Hetze und fordert mehr mündliche Mitarbeit von uns allen. Immerhin die gewerkschaftlich organisierte Sambatruppe haut so enthusiastisch ins Geschirr, als wolle sie nicht nur die AfD, sondern auch die Bolsonaro-Faschisten im akustisch weit entfernten Brasilien aus dem Parlament trommeln. Allerdings bin ich nicht sicher, ob die Brasilianer ihre Samba noch erkennen, wenn sie aus teutonischen Gewerkschaftspauken dröhnt. Aber Trommelgruppen gehören ebenso zu Kundgebungen gegen rechts wie linke Urgesteine mit defekten Flüstertüten.
Besonders, wenn es eine Demo im Rheinland ist, die von einem gewissenlosen Sauerländer in ungünstige Zeitnähe zum Straßenkarneval gezwungen wurde. Erst als die Kapelle eine Schweigeminute einlegt, verstehe ich, was der Mann mit dem rückkoppelnden Megafon meint. „Kein Fußbreit den Faschisten!“, rufe ich die Auflösung. Die Mitmarschierenden stimmen allerdings lieber in einen Ohrwurm ein, den eine kostümierte Fußgruppe mitgebracht hat. Es ist noch nicht ganz klar, ob die Jecken aus antifaschistischer Überzeugung dabei sind oder einfach den falschen Umzug erwischt haben. Oder bin ich es, der als Demonstrant verkleidet in einem Veedelszug mitgeht?
Das kann ich dann doch ausschließen, denn bei Demos ist die Stimmung ausgelassener. Karneval wird im Rheinland erheblich ernster genommen als Faschismus und weist eine größere Vielfalt von Uniformen auf. Daran kann man die beiden Veranstaltungsformate im Zweifelsfall ganz gut unterscheiden.
Die Jecken werden fix in die Volksfront eingemeindet, obwohl der politische Charakter der Veranstaltung etwas leidet, weil nun alle Beteiligten Karnevalslieder singen. Sogar der Ruf „Alerta, alerta“ wird jetzt überwiegend mit der Antwort „Carnevalista“ bedacht. Das rheinische Stimmungslied beweist seine Integrationskraft über politische Grenzen hinweg, sogar die Stalinisten einer Polit-Sekte erweisen sich als textsichere Reaktionäre.
Immerhin geht es im Lied um die Vergesellschaftung von alkoholischen Getränken in einer antikapitalistischen Trinkgemeinschaft. Kaum ist ein Kiosk in Sicht, wird das Ansinnen in die revolutionäre Tat umgesetzt. Auch in meiner Arbeiterhand landet ein befreites Bier, und ich trinke das eine oder andere mit. Man darf ja nie nachlassen im Kampf gegen den Faschismus.
Wieder versucht der Aktivist mit dem schadhaften Megafon, unverständliche Forderungen einzubringen. „Hund statt Frau’n!“, höre ich jetzt heraus. Wir diskutieren das Anliegen in Kleingruppen, aber es findet nicht einmal unter den mitgeführten Vierbeinern eine Mehrheit.
Die Kostümierten verschwinden auf halber Strecke in einer Brauchtumskneipe, worauf die geschulten Kader der Polit-Sekte umstandslos vom Karnevals- zum Partisanenlied schwenken, weil sich die Parteilinie geändert hat. Schon bollert die Sambatruppe wieder los. Immerhin gelingt es den einheimischen Schlagwerkern, durch ihr brüskes Spiel zu illustrieren, wie sehr unsere Gesellschaft auf die Hilfe ausländischer Fachkräfte angewiesen ist.
Bei dem Versuch, mich von ihrer arg geradlinigen Militärsamba nicht zum faschistoiden Marschtritt hinreißen zu lassen, stolpere ich über meine eigenen Füße und fluche dabei sehr laut in ein Pianissimo der uralten ÖTV-Zimbeln. Hoffnungsvoll richten sich die Augen der Demonstranten auf mich. Offenbar hält man mich für den geeigneteren Agitator als das linke Urgestein mit dem kaputten Megafon. Blöderweise bin ich sehr schlecht in Protestieren. Jedenfalls kann ich nicht gut Parolen rufen, weil ich in pathosgeeigneten Momenten zur Ironie neige. Als Beerdigungsredner und Revolutionsführer bin ich eher eine Notlösung. Aber vielleicht ist heute meine letzte Chance, mich wenigstens einmal als Ikone des Widerstands auf die Barrikaden der Weltgeschichte zu wuchten. Ich skandiere also eine total harmlose Frage aus der Mottenkiste der Agitationskunst.
„Wer hat uns verraten?!“, rufe ich, während die Perkussionisten zur nächsten Ostgoten-Samba ansetzen. Seit letztem Mittwoch wird diese Frage zur großen Erleichterung der deutschen Sozialdemokratie überwiegend mit „Christdemokraten!“ beantwortet. Doch der Ruf der agitierten Massen verebbt im Klanggewitter der Verdianer vom Planeten Orff. „Lymphdrainagen!“, lautete er vermutlich nicht, obwohl ich genau das herausgehört habe. Aber wie gesagt, ich verstehe heute echt nichts von Politik.
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