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„Ich lese Gedrucktes“

Mit 97 Jahren gehört Hans Heller zu den ältesten aktiven taz-Lesenden überhaupt. Zeit für ein Gespräch über Fehler in der taz, die Klimakrise als Bedrohung und Kreuzworträtsel als Priorität

Hans Heller bei sich zu Hause, das Interview führten wir per Zoom Foto: Gabriele Fischer

Interview Felix Bouché

taz: Herr Heller, heute sind Sie 97 Jahre. Wie lesen Sie eine Tageszeitung wie die taz?

Hans Heller: Ich stehe gegen halb neun auf, und dann hat meine Lebensgefährtin meistens das Frühstück gemacht. Zwischendurch gehe ich an den Briefkasten und hole die taz rauf. Wenn wir fertig gefrühstückt haben, lesen wir gemeinsam die taz.

taz: Tauschen Sie die Zeitungsteile dann untereinander?

Heller: Ich bekomme als Hausherr den ersten Teil, und sie nimmt den zweiten Teil, taz zwei. Irgendwann tauschen wir. Manchmal lese ich die letzte Seite, die Wahrheit-Seite zuerst. Da stehen immer so witzige Sachen drin.

Hellers Frau, Anne Straeter, betritt das Zimmer. Anne Straeter: Ich wollte Ihnen auch sagen, dass ich die letzte Seite, die Satireseite der taz, so liebe. Sie geht wieder.

taz: Und wie lesen Sie unsere Wochenzeitung, die wochentaz?

Heller: Am Samstag schlage ich zuerst den Kulturteil auf. Da ist ja hinten das Kreuzworträtsel. Das löse ich, bevor ich die Zeitung lese.

taz: Welche Rubriken in der Zeitung sind Ihnen besonders wichtig?

Heller: Die Klima-Seite finde ich sehr wichtig. Das Klimathema steht für mich fast im Vordergrund von allen Themen.

taz: Viele haben aktuell das Gefühl, dass es beim Klima fünf vor zwölf ist und sich mehrere Krisen überschlagen.

Heller: Fünf vor zwölf ist es mit dem Klima. Das ist also eine Bedrohung, die ganz anders ist als eine politische Bedrohung.

taz: Sie sagen das über die Klima­krise, obgleich Sie den Nationalsozialismus erlebt und dazu veröffentlicht haben.

Heller: Selbst mit dem National­sozialismus sind wir ja eines Tages, wenn auch unter furchtbaren Opfern, fertig geworden. Mit der ­Klimakrise wird man nicht eines Tages fertig, wenn man nicht dauernd etwas ­dagegen global tut und verhindert, dass es zum Schlimmsten kommt.

taz: Als 1978 die erste Nullnummer der taz erschien, waren Sie 51 Jahre. Seit wann lesen Sie uns?

Heller: Das weiß ich nicht mehr. Ich lese die taz aber schon sehr lange.

taz: Haben Sie früher mal andere Zeitungen gelesen, die Bild etwa?

Heller: Die Bild war von Anfang an furchtbar unverhohlen rechts, und von rechts hatten wir eigentlich gerade genug damals. Aber welche Tageszeitung ich vorher hatte, weiß ich nicht mehr. Was wir in der Nazi­zeit und der Kriegsgefangenschaft gelesen haben und was ich darüber denke, das könnte ich sagen. Aber die Zwischenzeit ist vergessen, erstaunlicherweise.

taz: Wieso sind Sie der taz bis heute treu geblieben?

Heller: Die taz, das ist für meine Begriffe ein Qualitätsblatt. Die positive Richtung entspricht meinen Auffassungen. Ich habe bei den Texten eigentlich nie das Erlebnis, dass ich mich darüber aufrege, wie irgendwas dargestellt wird. Das ist bei anderen Zeitungen schon so.

taz: Viele taz-Lesende schneiden gerne Artikel aus, Sie auch?

Heller: Letztens war in der Zukunft die Überschrift „Warum K.I. nicht halluziniert, sondern einfach Quatsch erfindet.“ Also, ich stehe dem Einsatz der K.I. sehr skeptisch gegenüber, und deshalb war das Balsam. (lacht) Das habe ich mir ausgeschnitten.

taz: Da war Ihnen die taz also besonders kostbar.

Heller: Nein, das kann man so nicht sagen. Es gibt öfters Artikel, die aufhebenswert sind, aber wo kommen wir da hin? Ich habe früher bemerkenswerte Artikel aus den Zeitungen ausgeschnitten, thematisch sortiert und archiviert. Irgendwann hab ich die Sachen weggeworfen. Ich habe einen guten Bekannten, der meine ganzen tazzen nach mir liest.

taz: Ärgern Sie sich manchmal über die taz?

Heller: Besonders geärgert wäre übertrieben, aber manchmal finde ich die Fehlerhäufigkeit zu groß. Sie lächeln. Was haben Sie jetzt vor?

taz: Ich denke über die nächste Frage nach. Die taz lebt seit fast 50 Jahren. Schaffen wir weitere 50?

Heller: Dass ich das nicht mehr erlebe, das ist ja sicher. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das Leben dann ist. Wenn man nur daran denkt, dass wir uns vor 50 Jahren kaum hätten vorstellen können, dass die gedruckte Zeitung nach und nach verschwindet, dass wir mittels Handy eine Zeitung lesen oder wir uns hier am Computer unterhalten, das wird in 50 Jahren völlig überholt sein.

Hans Heller

1927 in Magdeburg geboren. Mit 14 Jahren kam er in die Hitlerjugend und wurde im Februar 1943 als Luftwaffenhelfer zum Militär eingezogen. Nach seiner Kriegsgefangenschaft von Mai 1945 bis Juni 1947 studierte er Rechtswissenschaft und Betriebswirtschaftslehre, wobei er sich politisch nach links orientierte. Der Vater von vier Kindern war unter anderem als Manager in der Chemie- und Textilindustrie tätig. Nach dem Berufsleben studierte er noch Italienisch und Geschichte. 2016, im Alter von fast 90, erschien sein zweites Buch „Die Zivilrechtsgesetzgebung im Dritten Reich“.

taz: Nach dem 17. Oktober 2025 drucken wir die wochentaz weiter, die Werktagsausgabe erscheint dann in der App und als E-Paper. Sie sagten vorhin, Sie lesen die taz, weil sie täglich gedruckt wird. Wie blicken Sie auf die sogenannte Seitenwende der taz?

Heller: Mit Sorge! Denn ich hab daneben die Zeit, aber die erscheint ja auch nur wöchentlich. Allerdings kriegt man auch sonst Tagesnachrichten mit. Immer um 20 Uhr sehe ich die Nachrichten und später die „Tagesthemen“. Ich bin nicht aufgeschmissen, auch wenn es keine Tageszeitung mehr gibt. Sogar am Computer, wenn ich die E-Mail-Seite aufmache, dann sind dort, bevor man sich einloggt, eine ganze Reihe aktueller Nachrichten. Das lese ich immer alles. Es kommt also manchmal vor, dass meine Lebensgefährtin mir etwas morgens aus der Zeitung vorliest und ich kann das dann ergänzen um etwas, das ich hier im Computer schon gelesen habe.

taz: Werden Sie das E-Paper oder die App ausprobieren?

Heller: Na ja, das wird nicht ausbleiben. Ich bin ein richtiger Bücherwurm, und ich lese Gedrucktes. Ich mag es nicht, online zu lesen. Trotzdem werde ich das dann vielleicht mal probieren. Die völlige Ablehnung setzt voraus, dass man mindestens mal reinschnuppert. Ich kann ja nicht sagen, das ist nichts für mich, wenn ich gar nicht weiß, wie das ist.

taz: Heißt das, Sie können unseren Schritt nachvollziehen?

Heller: Dass das früher oder später kommen muss, ja, und dass das das Schicksal aller Zeitungen ist, die vorwiegend zum Lesen sind. Anders ist das bei Zeitschriften, die irgendwelche wunderbaren Gemälde oder Fotos zeigen. Das völlige Verschwinden von gedruckten Zeitungen, ob ich das noch miterlebe, das weiß ich nicht.

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