: Endlich zu zweit allein
Eine Ausstellung in Bremen bringt die impressionistische Bildhauerei der heute gehypten Camille Claudel und des eher schwierigen Bernhard Hoetger zusammen – wie 1905 in Paris
Von Benno Schirrmeister
Wie nur kann Camille Claudel ihren gehassten Geliebten Auguste Rodin loswerden? Indem man ihr mit Bernhard Hoetger einen anderen Mann ans Bein bindet, heißt die Antwort des Bremer Paula Modersohn-Becker Museums. „Emanzipation von Rodin“ lautet der programmatische Untertitel der schlicht „Camille Claudel & Bernhard Hoetger“ benannten Ausstellung.
Beide zusammen zu zeigen, mag überraschen. Sie sind zwar Zeitgenossen, aber unterschiedlich in der Kunstgeschichte verortet. Der Deutsche Hoetger (1874–1949) ist für seinen eigenwilligen, regional geprägten Expressionismus bekannt, der in den 1920ern ins Völkische abdriften konnte. Die Französin Claudel (1864–1943) ist eine der wenigen bedeutend gewordenen Frauen in der Geschichte der Bildhauerei. Ihre schwungvollen, oft theatralisch inszenierten Figuren, stilistisch auf der Schwelle von Impressionismus zu Art Nouveau, entstehen zwischen 1881 und 1906. Berühmt ist sie aber eben als Geliebte Auguste Rodins, dessen Schülerin und Mitarbeiterin sie war und die nach der Trennung von ihm psychisch erkrankte.
In der ungewöhnlichen Bremer Gegenüberstellung der beiden bekommt Hoetgers sonst wenig beachtetes, impressionistisches Frühwerk etwas von Claudels Glanz ab. Und die Schau löst das Œuvre der Bildhauerin aus dem kitschigen Kokon des Biografischen, der es seit seiner Wiederentdeckung in den 1970ern durch Romane und Spielfilme verhüllt.
Die Bremer Ausstellung reinszeniert ein historisches Ereignis. Vor 120 Jahren hatte der gemeinsame Galerist Eugène Blot die zwei in Paris schon einmal zusammengebracht. Die Ausstellung 1905 war kurz, fand aber ein großes Echo, nicht nur in den Periodika der damals etwa 30.000-köpfigen deutschen Gemeinde in Paris. In Blots Galerie zu sehen waren 12 Plastiken von Claudel, 33 von Hoetger, den der Kunstkritiker des Gil Blas als „einen derjenigen, deren Namen Künstler mit Bewunderung, manchmal auch mit Neid wiederholen“ rühmte.
In Bremen konnte man fast die gesamte Pariser Schau von 1905 rekonstruieren – nur eine Hoetger-Bronze, die verschollen ist, fehlt, und auch Claudels „La Vague“ ist nicht dabei. Die an Hokusais Welle erinnernde, fragile Form aus Bronze und Onyx mochte das Pariser Musée Rodin nicht verleihen. Sie war gerade erst Teil einer großen Claudel-Schau in den USA gewesen. Die scheint das derzeit große Interesse an der Bildhauerin befeuert zu haben. Und als kürzlich in einer verwaisten Pariser Wohnung der vermutliche Erstguss der Figurengruppe „L’âge mûr“ („Das reife Alter“) wiederentdeckt wurde, ist der Hype um Camille Claudel erst richtig entbrannt. Auf 2 Millionen Euro schätzt das Auktionshaus Philocale den Verkaufswert, wenn er im Februar versteigert werden soll, ein Rekord.
„L’âge mûr“ – ein anderer Guss natürlich als der Pariser Fund – ist auch in Bremen zu sehen: Sanft, aber unerbittlich geführt von einem zu seiner Rechten schwebenden Dämon, schreitet ein Mann voran. Keinen Blick hat er für die Frauenfigur, die hinter ihm kniet, ihn mit ausgestreckten Armen zurückhalten will. Klein ist der Abstand zwischen ihnen, aber er wirkt unüberwindlich.
Zweimal hat Paul Claudel über die Kunst seiner Schwester geschrieben, 1905 und 1951. Vor allem „L’âge mûr“ hat seine elegante Prosa eine verführerisch simple Deutung aufgedrückt. In der ist Rodin der schurkige Mann, Camille die flehende Verlassene. Das Feuilleton hört nicht auf, das aufzuwärmen, und verdunkelt so, dass der erzkatholische Großdramatiker und Superdiplomat Paul 1913 alleiniges Oberhaupt der Familie Claudel war – und damit für die Psychiatrisierung seiner Schwester verantwortlich. Nach 30 Jahren in Verwahranstalten krepiert sie schließlich elendig in der Klinik von Montdevergues, infolge von Unterernährung.
Anhand eines alten Fotos hat man im Paula Modersohn-Becker Museum nachempfunden, wie Bernhard Hoetger und Camille Claudel 1905 in der Galerie Blot präsentiert waren, mit Art-Déco-Sockeln und Fächerpalme. Das hat Charme, ohne in Reenactment abzugleiten. In der Betonung des historischen Moments gelingt der Ausstellung, die zwei in ihrer bloßen Zeitgenossenschaft als Künstler*innen erfahrbar zu machen. Gerade dadurch lässt sich erkennen, wie weit sie sich damals vom gemeinsamen Bezugspunkt Auguste Rodin entfernt hatten: Anders als Rodin, arbeitete Claudel die raumgreifende Bewegung schon immer aus. Und Hoetgers Plastiken weisen früh einen Zug ins Monumentale auf, den eigentlich auch Rodin angestrebt habe.
Hoetger, der hier noch naturalistisch-inspirierte Arbeiterfiguren zeigt, wird, 1907 aus Paris nach Deutschland zurückgekehrt, gigantische Backstein-Phönixe entwerfen, monumentale Odins sowie verwegen-expressionistische Baukörper wie eben auch das Paula Modersohn-Becker Museum. Erfolglos dient er sich den Nazis an. Claudel dagegen stellt die Produktion ein, zerstört viel und schreibt paranoide Briefe über den bevorstehenden großen Austausch, die bösen Juden, Freimaurer, Hugenotten und den teuflischen Rodin.
In ihrer Kunst aber findet sich die Krankheit nicht. Eine ihrer letzten Arbeiten ist die „Petite Sirène“. Diese Frauenfigur ist in der Ausstellung zentral: sitzend, den Blick in den Himmel, eine Querflöte wenige Millimeter vor den Lippen, ihr nackter Körper eine einzige, glatte, ganz auf den Klang, der da kommen wird, gerichtete Bewegung – und doch zugleich völlig in sich ruhend.
„Camille Claudel & Bernhard Hoetger – Emanzipation von Rodin“, Paula Modersohn-Becker Museum Bremen, bis 18. Mai; Alte Nationalgalerie Berlin, ab 6. Juni
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