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Archiv-Artikel

Gut gebrüllt, Esel

SCHAUSPIEL Shakespeare Company zeigt den Sommernachtstraum in einer unprätentiösen Inszenierung – bei der vor allem die Frauen für schauspielerische Höhepunkte sorgen

Der Traum, sein Verhältnis zur Wirklichkeit, das ist eines der großen und letztlich unlösbaren Denkprobleme, die von der Renaissance entdeckt werden

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Es ist eine Begattung, kaum verbrämt. Der Zaubersaft zwingt Titania, den verwunschenen Schreiner Zettel zu begehren. Sie hatte geschlafen, der Diener ihres Mannes hat sie vergiftet, derselbe, der auch dem theaterbegeisterten Handwerker den Eselskopf aufgesetzt hat. Sie erwacht, und völlig enthemmt stürzt sich Ulrike Knospe auf Peter Lüchinger, zerrt ihn zu sich ins Loch in der Bühnenmitte, er sinkt dahin, röchelt rhythmisch „I-Ah, iah, jaa“, bis zum Höhepunkt mit Schweizer-Akzent – später wird Zettel glauben, er hätte alles nur geträumt. Und Titania wird sich das wünschen.

Und vielleicht ist das ja der Kern des Sommernachtstraums, den die Bremer Shakespeare Company jetzt an der Concordia gibt: Die wilde Story, in der die Fürstenhochzeit von Theseus und Hippolyta, der Ehestreit des hohen Elfenpaars Titania und Oberon, die Theaterprobe des Laienensembles Athener Handwerker, die verbotene und die verschmähte Liebe der Patrizierkinder Demetrius, Lysander, Helena und Hermia einander zwischen Schlaf und Wachen in die Quere kommen, lässt sich als Suche nach einer Möglichkeit sehen, sich selbst richtig zum Traum zu positionieren, aus ihm ins Leben zurückzufinden – oder wenigstens unbeschadet von jener schrägen Ebene zu steigen, die Ausstatterin Heike Neugebauer wunderbar roh aus Latten in den kahlen Concordia-Raum geklotzt hat: Im Hintergrund hängt, kopfüber, ein kahler Baum herab. Und ein ömmeliger Blechmond glänzt goldig links am Himmel – willkommen im Traumland.

Der Traum, sein Verhältnis zur Wirklichkeit, das ist eines der großen und letztlich unlösbaren Denkprobleme, die von der Renaissance entdeckt werden. Die frühe Neuzeit ist besessen von ihm. Es fordert alle ihre Deutungsmeister, Philosophen, Dichter und die Theologen heraus – etwa als Quelle des fundamentalen Zweifels. „Ich stelle mir einfach vor“, schreibt Descartes, „dass Himmel, Luft, Erde, Farben, Gestalten, Klänge und alle äußerlichen Dinge nichts anderes sind, als Vorspiegelungen der Träume“ – ein Gedankenexperiment, das zum dramatischen Albtraum der Selbstauflösung des Denkers gerät: Er glaubt nicht mehr an seine Hände, nicht an sein Fleisch, noch an sein Blut, das alles sei, nimmt er an, nur das Traumbild eines „bösen Geistes, nicht weniger verschlagen und mächtig als der liebe Gott“.

Bei Shakespeare tritt dieser böse Geist natürlich natürlich auf – gut 40 Jahre früher schon, im Sommernachtstraum. Maliziös macht Puck das gesamte Spiel durch einen Epilog unangreifbar, indem er dem Publikum empfiehlt, all diese Schatten – ihn selbst eingeschlossen – einfach als Traum aufzufassen. Um aber seinen Rat Ernst nehmen zu können, müsste man dem elfischen Zeremonienmeister Wirklichkeit zubilligen, und schon wieder würde entweder diese beginnen, sich aufzulösen, oder aber der Traum sie zu überlagern – zu begatten. Zwar spielt Michael Meyer den Puck als herrlich fies lächelnden Conférencier, hat aber am Premierenabend mit ungewohnten Text-Unsicherheiten zu kämpfen – leider, denn wer die Aufgabe hat, beängstigenden Schwindel zu verbreiten, müsste ja besonders sicher wirken.

Benno Iflands unprätentiöse Inszenierung setzt auf Schauspielerei. Was schön ist, wenn Ulrike Knospe die ergraute Fürsten-Verlobte Hippolyta mit der wissenden Mimik einer lebenserfahrenen Matrone gibt. Und was auch Petra Janina Schultz als temperamentvoll um ihre Liebe kämpfende Hermia entgegenkommt, oder erst recht als höchst patenter Handwerker-Regisseur Squenz, superlocker und saukomisch.

Mitunter gerät’s aber auch etwas deklamatorisch und leider hat Ifland die Lautstärke zu wenig moderiert: Wenn die Athener Handwerker sich bei ihrer Dramen-Probe im Baustellen-Ton unterhalten oder wenn Zettel im Versteck mit Titania wie ein brünstiger Esel schreit, dann ist das okay, und sogar komisch. Es wäre aber viel, viel witziger, wenn nicht Lüchinger zuvor schon als Patrizier Egeus so brüllen würde. Was ja unnötig ist: zum Wegdämmern wäre dieser Sommernachtstraum auch leiser viel zu gut.

Nächste Aufführungen: Fr & Sa, 19.30, 29. 3. sowie 9., 14., 27. 4., immer 19.30 Uhr, Concordia