: Habitus im Spiegelsaal
Die US-amerikanische Konzeptkünstlerin Adrian Piper versetzt das Publikum im Frankfurter Portikus in die totale Selbstbespiegelung – mit Humor
Von Hans-Jürgen Hafner
Dem Blick auf die Kunst geht beim Ausstellungsbesuch meist automatisch der Griff zum Begleittext voraus. Mit dem schädlichen Effekt, dass Ausstellungshäuser eher auf den Kommentar als auf die Kunst setzen, die sie gern einem erzieherischen oder aktivistischen Zweck unterordnen. Ästhetische oder intellektuelle Brisanz gerät dabei auch mal außer Acht. Die in Berlin lebende US-amerikanische Künstlerin Adrian Piper liefert in ihrer aktuellen Ausstellung „Who, Me?“ im Frankfurter Portikus zum Glück beides: eine Kunst, die zum Kommentieren regelrecht aufruft, dafür aber zuerst gesehen und als Ausstellung erlebt sein will.
Schon zu Beginn ihrer Schau irritiert Piper. Den Zugang zum Ausstellungssaal ließ sie feinsäuberlich vermauern. Statt zum Ausstellungstext zu greifen, muss erst einmal entschieden werden, ob es den steilen Treppenwendel des modernen, aber mittelalterlich daherkommenden Turmbaus von Architekt Christoph Mäckler hinauf zur Empore gehen soll, die nun zu einem umlaufend begehbaren Balkon ausgebaut wurde. Oder ob man besser ins Sockelgeschoss hinabsteigt, das meist kunstbetriebstypisch für Diskursprogramme genutzt wird.
Von Piper mit Vortragspult, Tisch, Bestuhlung, Beamer und Projektionsleinwand zweckmäßig eingerichtet, sieht es dort auch ganz nach einer Seminarsituation aus. Deshalb gehen auch nicht wenige Besucher der Schau achtlos an dem Setup mit dem Titel „I’m the Screen“ vorbei, ohne seine Eigenheiten zu notieren. Als hätte jemand vergessen, den Beamer nach getaner Geistesarbeit abzustellen, wirft der ein quadratisches Dauer-Lichtfeld auf die weiße Leinwand. Und wo bodentiefe Fenster an dem Bau auf Frankfurts Alter Brücke den Blick auf den Main freigeben, sorgen vollflächig mit Spiegel verkleidete Wände für eine endlose Vervielfältigung der Szene. Man findet sich selbst, aber auch die potenziellen Sprecher und Zuhörer dieses Seminar-Settings, nolens volens in Rolle, Funktion und Habitus gespiegelt.
Im Spiegel entdeckt sich auch wieder, wer in der oberen Etage weit genug über die erhöhte Brüstung schaut und sich von der Verblüffung erholt hat, dass da ein in die Horizontale gedrehter Baum an dicken Stahlseilen hängt. Mit freigelegtem Wurzel- und kahlem Astwerk nimmt er die gesamte Länge des Ausstellungssaals ein. Dessen Boden ist komplett verspiegelt. Der Raum wird so zum schwerkraftlosen Guckkasten. Oben und unten, Horizontale und Vertikale, Sein und Schein geraten hier durcheinander. „I’m the Tree“ nennt Piper das Arrangement.
Die zwei Schauplätze, die Piper im Portikus eingerichtet hat, fügen sich gut in das medial vielfältige, um qualitative Höhen und Tiefen selten verlegene Werk einer Künstlerin, die als Pionierin der konzeptuellen Kunst der 1960er Jahre gilt. Deren Witz bestand einst darin, die künstlerische Idee von ihrer Materialisierung – etwa als klassische Malerei oder Skulptur – zu trennen. Nicht ohne Folgen für die Kunst selbst. Kam der Konzeptualismus der 1960er Jahre zumeist als Text daher, verpackt in Instruktionen, Publikationen oder als Vortrag, wissen Künstler heute, dass „die Kunst“ nie mit dem Kunstwerk identisch sein muss. Sie entsteht im Kontext, es kommt jetzt vielmehr auf Art und Ort ihrer Anwendung an – Kunst als App.
Während der US-Amerikaner Joseph Kosuth, selbsterklärter Pate des Konzeptualismus, einmal die Kunst in der Philosophie aufgehen sah, um dann aber bei zitier- und zeigefreudigem Grafikdesign zu landen, hielt die 1948 geborene Piper an der disziplinären Trennung zwischen Kunst und Philosophie fest. Beides betreibt die Kant-Expertin gleich engagiert. Es könnte also interessant sein, sich zu fragen, was für ein „Ich“ Piper in ihren Titeln und Werken anspricht.
Adrian Piper: „Who, Me?“. Kunsthalle Portikus, Frankfurt am Main, bis 9. Februar
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