Ein Viertel der Deutschen will Schlussstrich

Eine vergleichende internationale Studie des „American Jewish Committee“ zum Holocaust zeigt: Das Wissen überdie Vernichtung der Juden schützt Deutsche und Österreicher nicht automatisch vor antisemitischen Haltungen

BERLIN taz ■ Deutsche und Österreicher wissen einiges über den Holocaust. Zu diesem Ergebnis zumindest kommt eine aktuelle Studie des American Jewish Committee (AJC). Trotzdem haben viele von ihnen antisemitische Einstellungen. Und rund ein Viertel wünscht einen Schlussstrich unter das Erinnern an den Holocaust zu ziehen.

Die Forscher befragten in den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, Polen und Schweden im Auftrag des AJC jeweils tausend als repräsentativ ausgewählte Bürger über Wissen und Meinungen zum Judenmord. So wissen 88 Prozent der befragten Österreicher und 77 Prozent der Deutschen, dass Auschwitz oder Treblinka Namen von Vernichtungslagern waren. Anders als im Ursprungsland des Terrors wissen dagegen 91 Prozent der Schweden, was Auschwitz war.

Solches Wissen scheint jedoch nicht vor antisemitischen Einstellungen zu bewahren. Denn gleichzeitig sind 36 Prozent der Deutschen und 45 Prozent der Österreicher der Ansicht, „dass Juden in Vergangenheit und Zukunft zu viel Einfluss auf weltweite Ereignisse haben“. Der angeblich übermächtige Einfluss der Juden war eines der Hauptargumente, mit dem die Nazis ihren millionenfachen Mord an den Juden rechtfertigten. Deutsche und Österreicher sind auch mit Abstand am häufigsten der Ansicht, „dass Juden die Erinnerung an den Holocaust für ihre eigenen Zwecke missbrauchen“. Gegenüber jüdischen Mitbürgern als auch dem Staat Israel äußern sie im Vergleich zu Bewohnern anderer Länder die geringste Sympathie.

Ermutigend ist, dass Deutsche und Österreicher häufig angeben, es sei wichtig, an Schulen über den Holocaust zu informieren. Die Bedeutung von Aufklärung scheint ihnen also bewusst zu sein. Gleichzeitig sagen sie aber auch, dass sie selber eigentlich nichts mehr davon wissen wollen: 23 Prozent der Deutschen und 27 Prozent der Österreicher wäre es durchaus Recht, wenn es mit der Erinnerung an die Vernichtung der Juden langsam genug wäre. Dabei gibt es offensichtlich noch Wissenslücken, konnte doch nur die Hälfte der Befragten die korrekte Zahl nennen, als sie gefragt wurden, wie viele Juden überhaupt ermordet worden sind.

Glücklicherweise unterstützen Deutsche mit Abstand am häufigsten die Aussage, Antisemitismus sei ein ernstes Problem in ihrem Land. Antisemitische Einstellungen werden also wenigstens als Problem begriffen, was der erste Schritt zur Heilung ist. Es bedeutet aber auch, dass es eine ernste Gefahr sein muss, wenn bereits 85 Prozent der Bevölkerung es als solche wahrnehmen.

In Österreich ist man noch nicht so weit, dort wollen nur 63 Prozent darin eine ernste Bedrohung sehen. So ganz trauen die Österreicher jedoch ihrer eigenen Aussage nicht, glauben doch gleichzeitig 54 Prozent der Befragten, Juden könnten „in den kommenden Jahren Opfer eines erneuten Ausrottungsversuchs werden“. So viel wie in keinem anderen Land. KAI BIERMANN