: Forum für ein radikales Projekt
Wie könnte eine Welt ohne Gefängnisse aussehen?
Von Johanna Treblin
„Das Gefängnis macht Menschen kaputt“, sagt Christine Graebsch. Seinen Zweck – die Resozialisierung der Insassen – erfülle es nicht. Im Gegenteil seien Menschen, die aus der Haft entlassen wurden, oft weniger gesund als vorher, hätten keine Wohnung und keinen Job. Und viele würden rückfällig.
Graebsch ist Juraprofessorin in Dortmund und Leiterin des „Strafvollzugsarchivs“, eines Vereins, der sich für die Rechte von Gefangenen einsetzt. Als Expertin in Sachen Knast hat sie das Team der neuen ARD-Serie „A better place“ wissenschaftlich beraten. In der achtteiligen Mini-Serie (Start: 22. Januar) schließt die fiktive Stadt Rheinstadt ihr Gefängnis und entlässt alle rund 300 Gefangenen. Sozialarbeiter*innen des Projekts Trust begleiten sie auf ihrem neuen Lebensweg.
Auf einer Podiumsdiskussion in Berlin diskutierte Graebsch am Sonntag mit Serienmacher Alexander Lindh und der Familienrechtsanwältin Asha Hedayati das Für und Wider der Idee, Knäste abzuschaffen,und was das für Gefangene, deren Opfer und die Gesellschaft bedeuten würde. Der gesamte Strafvollzug habe vor allem eine symbolische Funktion, erklärte Graebsch. Durch Haftstrafen entledige die Gesellschaft sich vordergründig ihrer Probleme. Tatsächlich müssten aber die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert werden, die Täter und Straftaten hervorbrächten. Dazu leisteten Gefängnisse keinen Beitrag.
Hedayati berichtete, Betroffene häuslicher Gewalt wünschten sich zuallererst Ruhe. Diese bekämen sie, wenn die Täter eingesperrt würden. Doch das reiche nicht: „Wird Gerechtigkeit hergestellt, wenn der Täter in den Knast kommt, die Betroffenen aber allein gelassen werden?“ Die Gesellschaft müsse Verantwortung für die Betroffenen übernehmen: mit einer besseren Betreuung und bezahlbaren Wohnungen, sodass sie raus aus der Armut finden. „Wir wollen nicht nur, dass die Betroffenen überleben. Sondern dass sie menschenwürdig leben können“, sagte Hedayati.
Gefragt, wie ein Pilotprojekt unter ihrer Leitung aussähe, sagte Graebsch: „Erst einmal hätte ich gerne die 70 Prozent Zustimmung.“ So groß ist zu Beginn der Serie der Anteil der Bewohner*innen, die hinter dem Vorhaben stehen. Ein solch „radikales Projekt“ könne nicht ohne „sehr gute Verankerung in der Bevölkerung“ funktionieren, erklärte Graebsch. Außerdem bräuchte es viel mehr Präventionsarbeit, damit Verbrechen gar nicht erst geschehen. Konkret ergäben sich Fragen wie der Umgang mit Straftäter*innen, die sich nicht auf das Projekt einlassen wollen, oder ob auch Mörder entlassen werden könnten. „Bäumer hätte ich auch nicht gerne rausgelassen“, sagte Graebsch mit Blick auf einen Charakter in der Serie, der einen türkischen Jungen getötet hat. „Aber ich hätte es gemacht.“
Auch der Umgang mit Sexualstraftäter*innen sei keine einfache Frage. Schließlich müssten auch andere Wege gefunden werden, damit die Opfer der Straftaten Gerechtigkeit erfahren.
Viele dieser Punkte werden auch in „A better place“ aufgegriffen. Im Laufe der Zeit sinkt dort die Zustimmung für das Projekt. Dennoch, so Serienmacher Lindh: „Ich denke nicht, dass die Zuschauer*innen am Ende sagen: Gefängnis ist die Lösung.“ Er habe eine Debatte auslösen wollen – und das ist ihm gelungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen