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Das unterbelichtete Ei

Feinstes Musiktheater zeigen das Vokalensemble „The Present“ und die Neuköllner Oper im historischen Eierhäuschen

Von Katja Kollmann

Katja Kartoffelsalat sitzt im Fernsehstudio. Das Huhn beschreibt der Moderatorin, wie es nach der Flucht aus der Legebatterie wieder Zugang zu sich selbst gefunden hat. Die Sängerin Olivia Stahn sitzt im bauchigen Hennenkostüm und mit Hahnenkamm-Kopfputz im blutrot eingefärbten Laken-Verhau (Bühne und Kostüm: Lisa Fütterer) und erzählt vom Aussteigen aus dem Eierleg-Hocheffizienz-Turbo hin zu einem entspannten „Ein Ei kommt oder nicht“.

Leichtfüßig balanciert sie zwischen Witz und Ernsthaftigkeit, gibt Katja Kartoffelsalat Würde und sensibilisiert einen so für die Lebensbedingungen des Geflügelviehs. Gleichzeitig nimmt man ihre Lebensgeschichte als Metapher für den Optimierungstress der menschlichen Spezies wahr. Und dann spricht das Huhn Kartoffelsalat über das Hobby, dem es sich nun widmen kann: dem romantischen Lied. Olivia Stahn steht auf und wirft sich in voller Hennenmontur in das Lied „Thurm und Flut“, komponiert von Johanna Kinkel, einer wichtigen Protagonistin des Bonner kulturellen Lebens und Vorkämpferin für Frauenrechte im frühen 19. Jahrhundert. Olivia Stahn ist Mitglied im Vokalensemble „The Present“. Mit Hanna Herfurtner, Amélie Saadia, Tim Karweick und Florian Götz steht sie auf der blutroten Bühne im Treptower Eierhäuschen. Der schmucke Backsteinbau an der Spree war zu DDR-Zeiten ein beliebtes Ausflugslokal, wurde nach der Wende dem Verfall preisgegeben und erfand sich vor kurzer Zeit als „Spreepark Art Space“ neu. Inzwischen ist das ganze Gebäude saniert, und die Neuköllner Oper hat in Kooperation mit „The Present“ den Saal okkupiert.

Die fünf Per­for­me­r:in­nen spielen in „Der Preis ist Ei“ verschiedene Fernsehshow-Formate durch, schlüpfen dabei ständig in neue Rollen, sind Host und ins Rampenlicht geholte ZuschauerInnen im Wechsel. Die sechs Kurzshows, die um Selbstoptimierung, Wettbewerb und die öffentliche Zurschaustellung von Gefühlen kreisen, fokussieren sich auf das Thema Ei in all seinen Facetten. Es beginnt mit einem demütigenden Eierlauf auf einem Bobby Car, dann katapultiert das Trampolin eine bayerische Unternehmerin auf den Bühnen-Catwalk, die jedem ihre fünf blutroten Elexier-Sprühstöße aufzwingen will.

Immer wieder tickt die riesige Eieruhr und alle haben längst rote Flecke auf ihrer weißen Kluft, als Olivia, die Aktivistin für Menstruationsgerechtigkeit, die Bühne erklimmt. Beim Thema Ei auch diesen immer noch unterrepräsentierten Themenkomplex zu beleuchten, ist ein großes Verdienst dieser Performance. Denn der Auftritt der Aktivistin ist sehr informativ, bevor sie von der Moderatorin in einen Schlafsack gewickelt und mundtot gemacht wird.

„Der Preis ist Ei“ ist ein extrem spannendes Stück Musiktheater. Von Taylor Swift über Wolfgang Rihm bis Franz Schubert ist alles dabei. In jeder Kurz-Fernseh-Show wird mindestens ein romantisches Kunstlied a capella intoniert. Schuberts „Das Wandern ist des Müllers Lust“ wird textlich auf den Ei-Kontext zugeschnitten. Da kommt Komik ins Spiel. Aber die Genauigkeit beim Gesang bleibt. Von Bariton bis Sopran ist alles da in diesem wunderbaren Ensemble.

Die Stimmen erklingen rein, falten sich im Saal des Eierhäuschens wunderbar nebeneinander auf und fügen sich gleichzeitig zu einem Ganzen. Es ist eine seltene musikalische Energie, die so entsteht und sich bis zum Schluss im Saal konzentriert. Da haben alle geflochtene Eierköpfe auf und vereinen sich zu einem sich drehenden, singenden Klumpen.

Wieder 10.–13. 4. und 28. 5.–1. 6. im Eierhäuschen

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