: Kommt,ich musseuch Georgien zeigen
Von Zviad Ratiani
Kommt, Kinder, ich muss euch Georgien zeigen. / Es wird Zeit. Mir scheint, ich komme gar zu spät.
Sein hohes Alter soll euch nicht täuschen, / sein Fell, das starrt von trocknem Blut, / und seine Kette ist auch lang genug, um bis zu uns zu reichen. / Gebt mir die Hand
und schaut Georgien zu, / mit welchem Appetit verspeist es seine Kinder / (wenn auch nie ohne Unterscheidung; leugnen wir es nicht), / je größer aber dieser Appetit, desto mehr verfällt es. /
Das Wichtigste ist die Distanz: schauen und nicht berühren. / Wichtig ist auch, nicht wegzulaufen. Das habe ich versucht, es wurde schlimmer.
In einiger Entfernung müsst ihr stehen. Von hier aus wirkt es nicht nur anziehend, / interessant; wenn man mich fragt, auch liebenswert.
Zviad Ratiani, 54, ist ein georgischer Lyriker und Übersetzer. Er wurde in Tbilissi geboren und ist dort aufgewachsen. Ratiani hat in Georgien viele Gedichtbände veröffentlicht, seine Texte wurden in zahlreiche andere Sprachen übersetzt.
Nach den Parlamentswahlen im Oktober, bei denen sich die prorussische Partei Georgischer Traum zum Wahlsieger erklärte, gingen ab November Tausende in Georgien auf die Straße und warfen der alten und neuen Regierungspartei Wahlbetrug vor. Die Proteste dauern nun über 50 Tage an.
Auch Zviad Ratiani hat sich bei den Protesten in Tbilissi für die proeuropäische Demokratiebewegung eingesetzt. In der Nacht zum 29. November 2024 wurde er von Sicherheitskräften schwer misshandelt. Ihm wurden mehrere Rippen und die Nase gebrochen. Er blieb über eine Woche in Haft.
Lasst meine Hand los / und schaut nicht zu, wenn ich zum nimmersatten verlornen Elternteil hingehe / und er mir keine Zeit lässt, etwas zu sagen, etwas zu erklären, / schon gar nicht – meine Liebe. Denn ich komme zu spät.
Aus dem Georgischen von Maya Herzog und Katja Wolters
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