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Archiv-Artikel

Göttin über Fabriken

Mitten im Hammer Industriegebiet feiern 20.000 Hindus das Fest der „Göttin mit den Augen der Liebe“ in Europas größtem Hindu-Tempel

AUS HAMMRITA MARTENS

Dreimal täglich hallt tamilischer Sprechgesang durch das Uentroper Industriegebiet. Dazu schwingt rhythmisch eine Glocke von einem mit Fresken verzierten Steinturm neben einer Westfleisch-Fabrik, die auch Kühe verarbeitet. Im Hammer Sri Kamadchi Ampal Hindu-Tempel, dem Tempel der „Göttin mit den Augen der Liebe“, häufen sich Bananen und Kokosnüsse: Geschenke von Gläubigen, um die Göttin gnädig zu stimmen.

Denn zu ihren Ehren wird seit zehn Tagen gefeiert. Vor dem Tempel hämmern fünf Männer an einem heiligen Wagen für den Höhepunkt des jährlichen Tempelfestes: die Prozession am Sonntag. Die „Göttin mit den Augen der Liebe“ wird darin durch die Straßen Hamms fahren, bewundert von 20.000 Besuchern aus ganz Deutschland.

Sie werden noch mehr Bananen und Blumen bringen, denn für die symbolischen Gaben bekommen die Gläubigen den Schutz der Göttin. Und sie können einen Blick auf die kostbare Göttinnen-Figur werfen. „Die Göttin selbst bleibt aber unsichtbar“, sagt Priester Siva Sri Paskaran Kurrukkal. „Ihre Kraft ist in der Statue. Wenn die durch die Straßen getragen wird, wirkt diese göttliche Kraft auf die Menschen ein.“

Die göttliche Kraft brachte den tamilischen Priester vor 20 Jahren nach Hamm. Als der Bürgerkriegsflüchtling mit dem Zug von Berlin nach Paris fuhr, bekam er Hunger und stieg im westfälischen Hamm aus.

Die Fahrtunterbrechung war für ihn das Zeichen der Götter, genau an diesem Ort einen Tempel zu errichten. Und das tat er dann auch. Der Tempel war zuerst ein kleiner Andachtsraum in seinem Keller im Hammer Westen. Dann kamen immer mehr Gläubige zum Tempelpriester – zur großen Empörung der Nachbarn.

Besonders die Prozessionen zum Tempelfest brachten die Hammer Bürger auf. Die Stadt reagierte und verschaffte den Hindus ein Baugrundstück im Industriegebiet. 2002 zog Sri Paskaran nach Uentrop um: In einen Tempel, der Platz für tausende Gläubige bietet und Hamm für die 45.000 in Deutschland lebenden hinduistischen Tamilen zur Hauptstadt des Exil-Hinduismus macht. Der Ort ist perfekt, findet der Priester inzwischen, vor allem wegen der Autobahnanbindung und dem nahen Kanal. „Im Kanalwasser werden wir am Montag die Göttin rituell waschen“, erklärt der Priester. „Damit bitten wir um Segen für alle Menschen.“

Um den bitten am Sonntag bei der Prozession auch die so genannten „Rollen“. Das sind Männer, die sich, ohne Füße oder Hände zu benutzen, rollend über den Asphalt fortbewegen, um das „schlechte Wasser“ einer bösen Tat aus dem Körper zu drücken. Durch diese Unterwerfungsgeste bedanken sie sich bei der Göttin für das vergangene Jahr. Die Frauen tragen zur Huldigung heiße Feuerschalen. Am 25. Mai endet das Fest, indem die Götter mit Gemüse und Blumen geschmückt durch die Straßen getragen werden – vorbei an grauen Fabrikhallen unter dem Festmotto: „Die Menschen in aller Welt sollen glücklich werden.“