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„Wir lieben Jonny!“

Der FSV Mainz 05 setzt sich mit einem Sieg gegen Bochum überraschend im oberen Tabellendrittel fest. Von der neu entdeckten Spielfreude im Team profitiert vor allem Identifikationsfigur und Rekordtorschütze Jonny Burkardt

In Gerd-Müller-Manier: Burkardt erzielt trotz hautenger Bewachung seinen zweiten Treffer Foto: Torsten Silz/dpa

Aus Mainz Frank Hellmann

Der Gang hoch auf die Stehränge war für Jonathan Michael, genannt „Jonny“, Burkardt vielfach abgesichert. Einige Ordner und genügend Schulterklopfer begleiteten den Matchwinner des FSV Mainz 05 nach dem hochverdienten Arbeitssieg gegen den VfL Bochum (2:0) bis zur Empore, um das obligatorische „Humba Täterä“ anzustimmen. Für einen Fanblock gibt es nicht Schöneres, als wenn ihre Iden­ti­fi­ka­tions­fi­gur den Vorsänger gibt. Burkardt hat sich mit seiner Umtriebigkeit und Hartnäckigkeit zum ­aktuell bes­ten deutschen Stürmer entwickelt, und auch die Fortschritte der Mainzer Mannschaft sind augenscheinlich. Da beherrscht eine freudvolle Einheit längst mehr als nur lange Bälle und schnelles Umschalten. Idealtypisch vom Kapitän verkörpert.

Beim 1:0 nutzte der 24-Jährige einen perfekten Pass von Anthony Caci in die Tiefe (23.), beim 2:0 drehte er sich nach Vorlage von Philipp Mwene wie einst Gerd Müller, um im Fallen den VfL-Torhüter Patrick Drewes zu überwinden (69.). Kurz danach ging Burkardt unter donnerndem Applaus raus, denn erst drei Tage zuvor hatte er nach einer hartnäckigen Oberschenkelverletzung wieder voll trainieren können. „Ich bin nicht bei 100 Prozent“, sagte Burkardt, der an diesem ungemütlichen Nachmittag zwei weitere Erschwernisse benannte, über die sich sein Ensemble zum Re­start ­hinweggesetzt hatte: „Alle 30 Sekunden lagen acht Mann am Boden. Und der Platz war nix.“

Tatsächlich kam wegen zahlreicher Zusammenstöße und Behandlungspausen anfangs kein Spielfluss zustande. Bochums Trainer Dieter Hecking beklagte „zwei Minuten Nettospielzeit in der ersten halben Stunde“. Hoffnungslos unterlegen war sein VfL gleichwohl über die gesamte Spieldauer. Für die in den letzten sieben Spielen sechsmal siegreichen Rheinhessen geht’s nun für die Reifeprüfung zu Meister Bayer Leverkusen, wobei mit dem Ex-Leverkusener Nadiem Amiri der spielstärkste Mainzer auch am Dienstag noch gesperrt ist. „Keiner spricht darüber: Jetzt wollen wir in die Champions League“, stellte Sportchef Niko Bungert klar. Man werde bestimmt nicht anfangen, „irgendwelche Traumschlösser“ zu bauen, doch 28 Punkte nach 16 Spieltagen gäben schon mal Ruhe: „Aber nicht in der Weise, dass wir einen Gang rausnehmen, sondern ganz im Gegenteil.“

Burkardt stieg mit seinem Doppelpack am Samstag zum alleinigen Mainzer Rekordtorschützen (35 Treffer) auf. Der Blondschopf profitiert in vorderer Linie am meisten von den spielerischen Impulsen unter dem dänischen Trainer Bo Henriksen, der Burkardt als „unglaubliche Galionsfigur“ pries, denn: „Er liebt den Verein – und wir lieben Jonny!“

Dazu passte das neueste Treuebekenntnis. Der beste Nullfünfer stellte selbst klar, dass „ein Winter­wechsel kein Thema ist“. Dies gelte zu 100 Prozent; es gebe keine Konstellation, in der er sich Gedanken machen würde. Also kann sich auch Eintracht Frankfurt die Hoffnung abschminken, in der Nachbarschaft einen Ersatz für den wechselwilligen Omar ­Marmoush mit einem ähnlichen Stürmerprofil zu finden. Der gebürtige Darmstädter begründete sehr glaubhaft, dass es „gerade gar keinen Sinn machen würde, wenn ich mich zurzeit fragen würde: Wann will ich wechseln, wohin will ich ­wechseln? Dann könnte ich mich auch nicht so gut auf meine Leistung fokussieren.“

Jeder sehe doch, wie gut ihm Umgebung, Stadt und Mannschaft gefallen. Ergo: „Ich bin sehr gerne hier.“ Das Eigengewächs kam bereits mit 13 Jahren ins Nachwuchsleistungszentrum am Bruchweg, wobei immer wieder verletzungsbedingte Rückschläge seinen Aufstieg erschwerten. Dass es bei anhaltender Hochform im Sommer schwer werden könnte, den vertraglich bis 2027 gebundenen Musterprofi zu halten, wissen die Mainzer. Deshalb empfahl auch Burkardt, den Moment zu genießen: „Ich glaube, die Leute freuen sich einfach, dass wir auf Platz vier stehen.“ Da hat einer nicht vergessen, dass es vor einem Jahr an diesem Standort so finster aussah wie jetzt für den Tabellenletzten tief im Westen, der in der momentanen Verfassung gleich mehrere rechtskräftige Siege am grünen Tisch bräuchte, um die Klasse zu halten.

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