: Die Fremdheit des Schwertfischs
Wie begegnet man einem Fisch? Ein Interview mit Hans König von der Theatergruppe „Theatre du pain“ über die Nähe von Künstler und Fisch, das Bild des Schwertfischs in der Öffentlichkeit und das existentielle Gefühl der Fremdheit
taz: Gibt es eine spezielle Affinität zwischen Künstler und Fisch? Von Schuberts Forellenquintett über Grass’ Butt hin zum fliegenden Fisch in Kusturicas Arizona Dream wimmelt es ja nur so von Fischen.
Hans Kaiser: Er ist sicher immer wieder Symbol für das Unbewusste und das Verborgenbleiben. Die Vorliebe der Menschen für Wale beruht ja darauf, dass man alles Gute auf sie projezieren kann, auch auf Delphine. Wobei das natürlich Säugetiere sind.
Schwertfische sind laut Lexikon wachsame, kämpferische Einzelgänger. Ist das das Element, das Bremen fehlt?
Der Schwertfisch ist ein Raubfisch. Aber ich glaube nicht, dass Bremen das Raubtierhafte fehlt. Wenngleich das Thema vorkommen wird. Wir haben Politiker eingeladen, die wir unter anderem zum Themenkreis „Ist es gut, ein Raubtier zu sein?“ befragen werden. Aber der Schwertfisch ist nicht wie der Hai mit Aggressivität per se konnotiert.
Wie also muss man sich das öffentliche Bild des Schwertfischs vorstellen?
Dem Schwertfisch unterstellt man, dass er schlicht seinen Job als Fisch macht. Dass er ein schöner, anmutiger Fisch ist, der auch etwas Athletisches hat.
Athletisch?
Es ist der schnellste Fisch, er kann bis zu 130 Stundenkilometer schwimmen. Deshalb taucht er nicht unter, wenn er gejagt wird – er glaubt einfach, schneller zu sein. Was uns auch begeistert ist, dass er seine Augen bei der Jagd erwärmen kann.
Wie muss man sich die angekündigte Audienz des Fisches vorstellen? Er selbst kann dazu ja nicht mehr viel beitragen.
Er wird in einem Wohnwagen liegen. Das Besondere beim Betrachten des Fisches wird sein, dass der Fremdkörper in dem uns Vertrauten liegt. Ich glaube, dass auch ein kurzer Blick reicht, um dieses Gefühl herzustellen: Hier stimmt etwas nicht. Dieser Fisch gehört nicht in den Wohnwagen, genauso wie wir Menschen auch oft das Gefühl haben, wir gehörten gar nicht in diese Welt.
Und was vermittelt sich dem Fisch von dieser fremden Welt?
Der Fisch guckt Fernsehen. Wir haben zwei Filme produzieren lassen von Monika Beyer und Uwe Schorn. In einem geht es um das Scheitern wissenschaftlicher Experimente der Menschen, er sieht haufenweise Raketenstarts, die in die Hose gehen. Und im anderen werden ihm verschiedene Menschen gezeigt, so dass er sieht: Das sind Menschen und sie sind verschieden.
So wie Ihre Gäste.
Wir haben ein sehr anmutiges Tangopaar, eine Bauchtänzerin, den Spielmannszug Woltmershausen, einen Taucher, Oppositionelle und drei Vertreter der Parteien. Und die Bremer Jugend des Einzelhandels, die dem Schwertfisch einen Kranz bringt.
Was erwarten Sie sich von der Begegnung der Bremer mit dem Schwertfisch?
Ich erwarte Erstaunen und Befremdung im ersten Moment.
Und dann?
Für uns ist diese Aktion eine Auseinandersetzung mit dem Mensch-Sein schlechthin. Eine philosophische Begegnung mit der Frage: Was ist eigentlich fremd, was heißt Fremdheit? Das impliziert bei unserer Arbeit bestimmte provokative Elemente, die wir einsetzen, damit die Menschen hingucken und so auf einer surrealen Ebene, die nicht sofort über den Verstand geht, affiziert werden.
Ihre Version des Fremdheitserlebnis wirkt nicht besonders fröhlich. Nicht für den Fisch.
Wir glauben, dass das Gefühl der Fremdheit ein existentielles ist. Ein traumatischer Kern, den wir nie überwinden können. Zugleich ist sie zur Ich-Erkenntnis und Emanzipation wichtig – in diesem Kontext sehen wir sie als etwas sehr Positives.
Der Fisch wird am Ende von den BremerInnen verschlungen.
Wir verleiben uns die Fremdheit ein – und damit nehmen wir sie an. Bei Levi-Strauss essen die Kannibalen den Feind, so dass er ihnen Freund wird.
Interview: Friederike Gräff