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Mehr Leben pro Quadratmeter

Eine Ausstellung im DAZ diskutiert „Geschichten vom emanzipatorischen Wohnungsbau“ unter anderem am Beispiel des Blocks 2, eines Wohnkomplexes an der Dessauer Straße

Dessauer Straße 38–49 in Kreuzberg, nach der Planung von Architektin Myra Warhaftig, fertiggestellt 1993 Foto: Tarek Megahed/DAZ 2024

Von Beate Scheder

Im Vorfeld der Internationalen Bauausstellung 1984/87 (IBA) fand Mitte November 1981 in Westberlin eine Anhörung von Vertretern öffentlicher Interessensgruppen statt. Redner von Gewerkschaften, Hochschulen und anderen Institutionen waren geladen, darunter – keine einzige Frau. Mithilfe einiger Mitarbeiterinnen der IBA jedoch gelang es einer Gruppe von Planerinnen, Soziologinnen, Kunsthistorikerinnen und Aktivistinnen, die Veranstaltung mit einem Go-in zu stürmen. In sieben Reden forderten sie Beteiligung. Als „Expertinnen des Alltags“ kritisierten sie eine Stadtplanung, die Wohnen und Arbeiten zu sehr voneinander trennte, einen Wohnungsbau, der die Bedürfnisse von Frauen, von Familien mit Kindern und alternativen Wohnformen ignorierte, sowie den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in der Innenstadt.

„Die anschließende Diskussion war von Ratlosigkeit seitens der Herren gekennzeichnet“, so steht es in einem taz-Artikel über die Veranstaltung. Erfolg hatten die Frauen dennoch: Einige Rednerinnen wurden mit einem Gutachten zu frauenspezifischen Belangen in Architektur- und Stadtplanung beauftragt, einen Frauenbeirat im Senat gegründet. Aus der Aktion selbst entstand die Fopa, die Feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen, die sich für eine andere, an feministischen Grundsätzen orientierte Architektur- und Stadtplanung engagiert. Besagtes Gutachten wiederum wurde zum Ausgangspunkt für die Entwicklung des sogenannten Blocks 2, eines der Neubauprojekte der IBA: ein Kreuzberger Wohnkomplex der Degewo, gelegen im Dreieck von Dessauer Straße, Stresemannstraße und Bernburger Straße, nahe dem Potsdamer Platz, geplant eben für die IBA 1984/87, fertiggestellt 1993, bewohnt noch heute.

Mehr über die „Dessauer Straße und andere Geschichten vom emanzipatorischen Wohnungsbau“, kann man aktuell im DAZ in der gleichnamigen Ausstellung erfahren, kuratiert von Océane Vé-Réveillac und Silja Glomb. Um den Block 2 geht es da, aber auch um feministische Wohnprojekte, um die Westberliner Hausbesetzerinnenszene und um Ostberliner Orte der queeren Szene.

Im Block 2 sollten Wohnungen entstehen, deren Struktur kein Emanzipationshindernis mehr darstellte, sondern Frauen die Vereinbarung von Berufstätigkeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit, also die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Arbeiten sowie die partnerschaftliche Aufteilung der Hausarbeit ermöglichte. Als Architektinnen beteiligt waren Zaha Hadid, Myra Warhaftig und Christine Jachmann sowie Landschaftsarchitektin Hannelore Kossel. Myra Wahrhaftig orientierte die Grundrisse flurloser Wohnungen rund um eine zentrale „Wohn-Raum-Küche“. Christine Jachmann setzte auf helle, gleichwertige Räume mit einem atriumähnlichen „Grünen Zimmer“ für mehr Luft und Licht in der Mitte. Zaha Hadid konzipierte hinter keilförmiger Fassade barrierefreie Wohnungen, zugänglich mittels eines vom Hof aus sichtbaren Aufzugsturms. Hannelore Kossel entwarf kinderfreundliche Innenhöfe als Kommunikationsräume.

Wie sich vor allem Hadid darüber empörte, dass ihre Entwürfe immer wieder modifiziert und an Bauvorschriften angeglichen werden mussten, ist in der Ausstellung dokumentiert, tatsächlich hat Hadid den Bau später aus ihrem Werkverzeichnis gestrichen. Überhaupt macht es viel Spaß, im Archivmaterial zu blättern und sich in Grundrisse und Architekturmodelle zu vertiefen.

Dazu laufen Ausschnitte aus Pınar Öğrencis sehenswertem dokumentarischen Film „Gurbet is a Home now“ als Dreikanalvideoinstallation, was es leider erschwert, diesem zu folgen. Den Brückenschlag ins Hier und Jetzt schaffen Fotografien heutiger Be­woh­ne­r*in­nen von Marisa Reichert sowie Videoporträts von Aline Bonvin Diarra – und einen erhellenden Abgleich mit der gelebten Realität: Einer schwärmt darin vom „Grünen Zimmer“, das wie ein Atrium im alten Rom anmute. Eine langjährige Bewohnerin wiederum beklagt die Hitze im Sommer und dass die Wohnküche, durch die alle Gäste hindurchgingen, stets aufgeräumt sein müsse. Auch von ehemaligen Gemeinschaftsräumen ist da die Rede, die es nicht mehr gebe, von Höfen, in denen sich niemand aufhielte. Was und wie Architektur genutzt tatsächlich wird, liegt eben auch an denen, die darin wohnen.

Die Ausstellung ist dicht und oft voraussetzungsreich. So faszinierend die Idee der Kuratorinnen auch ist, die Architektur der Schau am zentralen Raum des Grundrisses von Christine Jachmann zu orientieren, vielleicht hätten die beiden einfach mehr Platz gebraucht. Die Fragen, die sie darin umkreisen, wie urbanes Zusammenleben bezahlbar bleiben und sich Architektur an menschlichen Bedürfnissen orientieren kann, sind schließlich seit den 1980er Jahren nicht weniger relevant geworden, sondern treiben die Stadt, in der es heute kaum mehr Lücken gibt, die man füllen könnte, umso mehr um.

„Dessauer Straße und andere Geschichten vom emanzipatorischen Wohnungsbau“: DAZ. Bis 16. Februar

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