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Archiv-Artikel

How to be good

Depressionen sind etwas anderes: Nick Hornby lässt in seinem neuen Roman „A Long Way Down“ vier Suizidkandidaten ihr Leben neu überdenken, ohne dabei aber seelische Abgründe bloßzulegen

Aller Flapsigkeit zum Trotz: Nick Hornby ist vor allem ein moralischer Autor

VON JÖRG MAGENAU

Das Leben ist eine traurige Angelegenheit. Man wird geboren, um irgendwann zu sterben, und was dazwischen geschieht, kann einem ganz schön zu schaffen machen. In der Mehrzahl der Fälle ist es aber nicht der Rede wert. Nick Hornby, britischer Erfolgsautor, hat sich in seinen Romanen auf depressive Grundstimmungen spezialisiert, auf Menschen, die der empfundenen Sinnlosigkeit des Daseins trotzen, indem sie sich einer Leidenschaft hingeben, von der sie wissen, dass sie auch bloß lächerlich ist – sei es Fußball wie in „Fever Pitch“, Popmusik wie in „High Fidelity“ oder Vaterschaft wie in „About a boy“. Zu Unrecht gilt Hornby als fröhlicher Autor. Er ist zwar witzig, aber doch ein Melancholiker, der gelernt hat, seine Lebenstraurigkeit mit derben Späßen zu kaschieren.

In seinem neuen Roman „A Long Way Down“ versammelt er gleich vier Suizidkandidaten auf dem Dach eines Londoner Hochhauses. Sie treffen sich dort in der Silvesternacht, um Schluss zu machen. Nachdem sie aber ins Gespräch kommen, verschieben sie ihren finalen Absprung bis zum Valentinstag. Mal sehen, ob es dann immer noch genug Verzweiflungsgründe gibt. Das Leben als Experiment auf Zeit: Kann man leichter Gefallen daran finden, wenn man schon einmal damit abgeschlossen hat?

Hornby schickt zu diesem Zweck vier unterschiedliche Charaktere ins Romanlabor. Da ist zunächst der abgehalfterte Frühstücksfernsehmoderator Martin, der drei Monate Gefängnis hinter sich hat, weil er mit einer Fünfzehnjährigen geschlafen hat. Die Boulevardpresse hat ihn deshalb zur Sau gemacht, und sein miserabler Kabelsender hat ihn entlassen. Auf der 30 Punkte umfassenden Selbstmord-Ernsthaftigkeitsliste gibt er sich damit 21 Punkte, hat seine Ironiefähigkeit also noch nicht ganz eingebüßt. Alle halten ihn für ein zynisches Arschloch, doch eigentlich ist er grundsympathisch. Das ist Hornbys schlichtes Erfolgsrezept: Egal wie fies seine Figuren sind, sie wirken doch immer nett und harmlos. Hornby vermittelt damit erfolgreich den Eindruck, so verhielte es sich auch bei ihm selbst.

Als zweite betritt Maureen das Dach, eine katholisch empfindende Mittfünfzigerin in cremefarbenen Bequemschuhen. Sie hat einen behinderten Sohn zu pflegen, der im Wachkoma vor sich hin dämmert. Jess, die Dritte im Bunde, ist eine pubertierende Nervensäge, Tochter eines hochrangigen Politikers. Der Vorsatz, vom Dach zu springen, hat für sie etwa denselben Stellenwert wie der Plan, noch auf einer Party vorbeizuschauen. Sie kränkelt ein bisschen in amouröser Hinsicht, leidet unter mangelnder elterlicher Zuwendung und darunter, dass ihre ältere Schwester verschwunden ist.

Als Letzter betritt schließlich der Pizzabote JJ das Dach. Er ist Amerikaner und fühlt sich als Popstar. Doch seine Band hat sich aufgelöst, seine Träume sind geplatzt, die Freundin hat ihn verlassen. Weil ihm das als Selbstmordgrund selbst etwas lächerlich erschient, erfindet er sich eine unheilbare Krankheit.

So weit, so traurig. Doch wie soll es weitergehen? Die vier Lebensmüden haben nichts miteinander zu tun, müssen aber aus literarischen Gründen eine Notgemeinschaft bilden, damit ihre Suizidentschlossenheit allmählich kollektivem Lebensmut weiche. So will es der Roman. Man merkt allerdings, wie schwer Hornby sich damit tat, dieser labilen Gemeinschaft Plausibilität zu verleihen. Es bleibt rätselhaft, warum sie nicht schleunigst wieder auseinander gehen in ihrem vergeblichen Kampf gegen die Langeweile. 340 Seiten lang schleppt sich die Geschichte zäh dahin und fältelt sich in Belanglosigkeiten auf. Es könnten auch 1.500 Seiten sein. Das Leben ist tendenziell lang.

Hornby lässt in stetem perspektivischen Wechsel seine Figuren selbst erzählen. Es ist, als sprächen sie direkt in ein Mikrofon, und danach hätte ein Redakteur ihre Berichte zu einer fortlaufenden Geschichte geschnitten. Dialoge dominieren, als sei das alles gleich mit Blick auf die Verfilmung geschrieben: Warner Brothers und Johnny Depp als Produzent haben sich den Stoff bereits gesichert. Allerdings klingen die vier Stimmen ziemlich ähnlich. Alle geben sich locker-flockig, ironisch und ein bisschen böse. Die Vorliebe für Kraftausdrücke, die bei Jess kulminiert, wird bei der katholischen Maureen durch Pünktchen zu F… und S… abgedämpft. Das ist auf die Dauer eher ermüdend als witzig. Sprachliche Feinarbeit ist nicht gerade Hornbys Sache.

Natürlich steckt der Autor in all seinen Figuren. Wie Maureen hat er selbst ein behindertes Kind. Wie Jess gilt er als ewig Pubertierender, der nicht erwachsen werden will – auf die Pubertät folgt übergangslos die endlose Midlife-Krise, die in diesem Roman zu Literatur geworden ist. Und mit Martin teilt er das zweifelhafte Vergnügen, als Prominenter auf der Straße permanent erkannt und blöd angesprochen zu werden. Martin ist nach seiner Scheidung für seine Kinder ein abwesender, unbekannter Vater– auch das ist eine Erfahrung, die Hornby als Kind machen musste.

JJ ist ihm jedoch von allen am nächsten. Das verriet er dem Guardian in einem Interview: „Mich interessierte die Angst davor, die eigenen Fähigkeiten nicht ausschöpfen zu können. Das war ein großes Thema, als ich in diesem Alter war. Ich identifiziere mich sehr stark damit, Anfang dreißig zu sein und keinerlei Ahnung zu haben, ob man auf dem richtigen Dampfer ist, ob das Schreiben funktioniert. Und wenn nicht: Was dann?“ Hornby sagt, er habe ein Buch schreiben wollen, das rockt. Das sagt er jedes Mal, denn das klingt nach Tempo, Rhythmus und Dynamik. Doch gerade daran mangelt es im neuen Roman. „Er sollte von etwas absolut Niederschmetterndem handeln. Ich wollte sehen, ob ich diese Charaktere aus dem Dunkel ins Licht führen könnte, ohne sentimental oder unrealistisch zu werden. Wenn ich ein Buch über Depression geschrieben hätte, das unglaublich depressiv wäre – warum würde irgendjemand das lesen wollen?“ Also hat er ein Buch geschrieben, das Depression nur behauptet. Von Verzweiflung keine Spur. Er traut sich nicht, wirklich ins Dunkel vorzustoßen und seelische Abgründe bloßzulegen. „Warum machen wir das?“, fragt Martin einmal, und Jess gibt ihm zur Antwort: „Keine Ahnung. Mal gucken. Bloß so zum Spaß. Dabei lernen wir doch was, oder? Über die anderen? Über uns selbst?“ Doch Martin glaubt nicht daran, dass sich etwas lernen lässt. Was könnte etwa ein Krebskranker über sich lernen? Dass er nicht sterben will? Dass Perücken auf der Kopfhaut jucken? Na und?

Aller Flapsigkeit zum Trotz: Nick Hornby ist ein moralischer Autor, der in die Jahre kommt und sich nach familiärer Sicherheit sehnt. Deshalb muss eben der Sinn des Lebens gefunden werden. Am Ende will selbst der zynisch abgehärtete Martin ein besserer Mensch werden und gibt einem begriffsstutzigen Jungen Nachhilfe. Soziales Engagement als Depressionshemmer, die Gruppe als Halt und Stütze: Das ist eine recht christliche Pointe nach so viel Negationsaufwand. Damit gewinnt dann doch die Sentimentalität die Oberhand. Da könnte man glatt depressiv werden.

Nick Hornby: „A Long Way Down“. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, 342 Seiten, 19,90 €