Ausgehen und rumstehen von Jenni Zylka: Im schicken Kleid mit 35-mm-Muster
Momentan spiele ich mit dem Gedanken, meinem Friseur zu Weihnachten ein neues Schild für seinen Laden in Mitte zu schenken, Aufdruck „The demon barber of Schroed Street“ (in einem gruseligen Horror Font). Seit dem Besuch des großartigen „Sweeney Todd“ in der Komischen Oper am Donnerstag geht mir der Titelsong nämlich nicht mehr aus dem Kopf. Der Chor spuckt bei der Zeile „The demon barber of Fleet Street“ die t-Okklusivlaute am Ende von „Fleet“ und „Street“ dermaßen fantastisch aus, dass es eine helle Freude ist.
Aber vielleicht findet der Friseur das auch nicht ganz so puppenlustig wie ich, Sweeney schneidet im Rahmen der Inszenierung immerhin ungefähr 100 unschuldigen Seelen die Kehlen durch. Mein Friseur dagegen hat mich bislang nur ein einziges Mal in unserer langen, haarigen Beziehung beim Nackenausrasieren sanft und kaum spürbar mit dem Barbiermesser gekratzt, und das lag auch nur daran, dass es (anders als bei Sweeney) nicht mehr richtig scharf war.
Doch weil man einen Ohrwurm am besten mit einer potenziellen Alternative begegnet, verbrachte ich den folgenden Freitagabend bei einem hervorragenden Noise-Konzert im West Germany, eine Band jünger als die andere, und was soll man sagen – Sweeny war danach wie ausradiert.
Samstag schaukelte ich gemütlich meinen Tinnitus, und las einen interessanten Artikel über den so genannten „schlafenden Propheten“ Edgar Cayce, ein US-amerikanisches Medium, dessen USP – schlafend beziehungsweise „in Trance“ weise Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu geben – mir sehr entgegenkommt. Ich probierte Cayces Kunst am Samstagabend gleich auf einer Party aus, mit einer minimalen Änderung: Anstatt schlafend gab ich die weisen Antworten betrunken. Funktionierte genauso gut.
Dass sich auf jener Party zudem vier (VIER!!) echte Zauberer und ein weiteres Medium befanden, machte die Sache noch überzeugender – eine höhere Magiedichte habe ich lange nicht mehr erlebt. Außer neulich bei „The wizard of Oz“ auf 35mm.
Der Film ist nämlich nicht nur einer meiner Lieblingsfilme, sondern gehörte auch zum zweiwöchigen Abschiedsprogramm des Arsenals am Potsdamer Platz – genau wie „Aliens“ auf 70mm, George Kuchars unfassbar trashiger „The devil’s cleavage“ auf 16mm, und Lizzie Bordens feministischer Diskursfilm „Born in Flames“ mit der jungen Kathryn Bigelow in einer Nebenrolle als weiße Frühfeministin, der langsam, aber sicher das Thema Intersektionalität dämmert. Sonntag stand der allerletzte Abend dieses langen Abschieds an – das Arsenal zieht ins silent green um und macht eine einjährige Kinopause, die Stiftung Deutsche Kinemathek geht ins E-Werk, die dffb residiert eine Weile in Adlershof. Traurig warf ich mich darum am Sonntag in ein schickes Kleid mit 35-mm-Muster, stand mit den anderen Gästen im Arsenal-Foyer herum und weinte ein bisschen.
Aber es nützt ja alles nix – die unfassbaren neuen Mieten kann sich kein Mensch, und schon gar keine Kulturinstitution leisten, erst recht nicht angesichts der anstehenden Senatseinsparungen. Was es nützen soll, die am Potsdamer Platz vereinten Aspekte der Film-Kultur aus dem Stadtzentrum vor die Tore zu jagen beziehungsweise in unterschiedlichen Stadtteilen zwischenzulagern, leuchtet mir nicht wirklich ein.
Um ein Haar wäre ich auf dem Heimweg in den Donuts-Franchise-Laden gestürmt, der die horrende Miete des Investors anscheinend noch aufbringen kann, und hätte gerufen: „Bäcker lasst das im Fett ausbacken sein / kommt heraus und reiht Euch ein!“ Denn wonach wurden wohl die kleinen glasierten Teigfetzen aus den Donut-Löchern benannt, die man dort tütenweise kaufen kann? Nach den „Munchkins“ aus „Wizard of Oz“! Eine gewisse Solidarität kann man also erwarten.
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