berliner szenen: Der Vater, der Angst macht
Kurz bevor es wieder dunkel werden würde, beschloss ich, eine Runde durch den Rudolph-Wilde-Park in Schöneberg zu drehen. Gedankenverloren hangelte sich mein Blick von einem abgefallenen Blatt zum nächsten, als ich plötzlich ein Schluchzen wahrnahm. Ich schaute nach vorne und sah einen Jungen, der weinte und sehr verzweifelt aussah.
Er war vielleicht fünf Jahre alt und ging alleine durch den schon dämmrigen Park. Mein Schritt verlangsamte sich, und gerade als ich den Jungen ansprechen wollte, sagte er schluchzend, dass er seinen Papa verloren habe. Ich bot ihm an, gemeinsam nach seinem Vater zu suchen, fragte ihn, wo er ihn denn zum letzten Mal gesehen hätte, riet ihm, am besten immer dort zu warten, wo er ihn verloren hätte, hatte Mitleid mit ihm. Es stellte sich heraus, dass er keine Nummer kannte – und auch nicht wusste, wo er wohnte. Dann müsste ich wohl die Polizei anrufen, dachte ich, wenn wir seinen Vater wirklich nicht finden würden.
Im Park wurde es derweil immer dunkler. Als wir über den Punkt, an dem er zum letzten Mal seinen Vater gesehen hatte, hinausliefen, hörte ich von hinten ein Schreien. Es klang aggressiv. „Ist das dein Vater?“, fragte ich den Jungen und deutete zu der Person, die etwa hundert Meter von uns entfernt stand. Insgeheim hoffte ich, dass er es nicht war. Der Junge nickte, wirkte aber überhaupt nicht erleichtert, im Gegenteil: Er schien verängstigt zu sein. Ich entschied mich, ihn zu begleiten. „Warum bleibst du denn nicht bei mir? Spinnst du!?“, brüllte der Vater, als wir ankamen. „Du hast mir wehgetan“, stammelte der Junge. Ich versuchte zu beschwichtigen: Am wichtigsten sei doch, dass er den Jungen nun wiedergefunden hätte. Der Mann schaute mich verständnislos an und zerrte den Jungen am Arm davon.
Eva Müller Foell
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