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Helfen kann auch: Besetzen first

Eine Initiative gegen den spekulativen Leerstand: Mit einer Besetzung eines Wohnblocks wurde in Berlin Obdachlosen Wohnraum verschafft

Aus Berlin Jonas Wahmkow

In Großstädten wie Berlin, Hamburg und München sind die Wohnungsmärkte leergefegt und selbst gut verdienende Mit­tel­schicht­ler:in­nen brauchen Monate, um eine Bleibe zu finden. Nicht die besten Bedingungen, um Ver­mie­te­r:in­nen zu überzeugen, Wohnraum für teilweise schwer psychisch und suchtkranke Menschen bereitzustellen. Doch warum auf die Politik warten, wenn man auch besetzen kann? Der Fall der Berliner Habersaathstraße zeigt, wie trotz aller Widrigkeiten Leerstand in Wohnraum umgewandelt werden kann. Housing First von unten kann funktionieren, auch wenn es alles andere als einfach ist.

Die Habersaathstraße 40–48 ist ein Paradebeispiel für spekulativen Leerstand. Der Plattenbau wurde Ende der 80er Jahre erbaut. 2005 verkaufte das Land das Gebäude für einen Spottpreis, dann wechselte es mehrmals den Besitzer. Der aktuelle Besitzer versucht seit 2017, die Alt­mie­te­r:in­nen loszuwerden, um den Komplex abreißen zu können. Ein Großteil steht leer, doch die letzten verbliebenen Mie­te­r:in­nen weigern sich auszuziehen und verhindern somit den Abriss.

Die Habersaathstraße ist kein Einzelfall, bundesweit stehen rund 1,9 Millionen Wohnungen leer.

Im Winter 2021 gelang es den Ak­ti­vis­t:in­nen der Initiative „Leerstand hab ich Saath“, das Gebäude erfolgreich zu besetzen. Sie verschafften rund 60 wohnungslosen Menschen Zugang zu den teilweise noch möblierten Wohnungen. Nach Verhandlungen versprachen der Bezirk Mitte und der Eigentümer, vorerst nicht zu räumen. Die nun Nicht-mehr-Obdachlosen könnten „vorübergehend“ bleiben, war die schwammige Zusage des Bezirks, der auch versprach, eine Sozialberatung im selben Gebäude zu finanzieren.

Die Habersaathstraße ist kein Einzelfall, bundesweit stehen rund 1,9 Millionen Wohnungen leer

Ein vielversprechender Anfang, doch seitdem hat das Projekt enormen Gegenwind erfahren. Eine dauerhafte Bleibeperspektive hatten die Be­woh­ne­r:in­nen nie, etliche Male schien der Abriss und damit die Räumung kurz bevorzustehen. Seitdem der Bezirk im August eine Abrissgenehmigung erteilt hat, hängt der Erhalt des Gebäudes von der Ausdauer der wenigen noch gebliebenen Be­stands­mie­ter:in­nen ab. Die konnten die Räumungsklagen des Eigentümers zuletzt erfolgreich vor Gericht abwehren. Die Finanzierung der Sozialberatung hat der Bezirk bereits im April vergangenes Jahr eingestellt. Wenig später ließ der Eigentümer allen neuen Be­woh­ne­r:in­nen Strom und Warmwasser abstellen.

Wie auch bei den „offiziellen“ Housing-First-Projekten brachten viele der neuen Be­woh­ne­r:in­nen psychische und Suchtproblematiken mit in ihr neues Zuhause. „So schön es ist, ein Dach über dem Kopf zu haben, kommen viele damit nicht zurecht“, sagt Valentina Hauser, Sprecherin der Initiative. Die sozialarbeiterische Betreuung werde schmerzlich vermisst, auch wenn die Initiative mittlerweile eine wöchentliche ehrenamtliche Sozialberatung organisieren konnte.

„Trotz allem“, sagt Hauser, „ist die Habersaathstraße ein Erfolgsprojekt“. Ohne die Besetzung wären einige der Be­woh­ne­r:in­nen wohl auf der Straße gestorben. Und es gebe auch einige Erfolgsgeschichten von Menschen, die durch die verhältnismäßige Stabilität einen Entzug durchführen und einer Arbeit nachgehen konnten, berichtet Hauser.

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