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Blues an der Bushaltestelle

Die Neue Bühne Senftenberg inszeniert Oliver Bukowskis TV-Serie „Warten auf’n Bus“ als Erkundungsreise durch ostdeutsche Männerseelen. Ein Ausflug ins Theaterland Brandenburg

Daniel Borgwardt als Ralle (links) und Matthias Manz als Hannes (rechts) „Warten auf'n Bus“ in Senftenberg Foto: Steffen Rasche

Von Tom Mustroph

Fahrten nach Brandenburg werden für Berliner Besuchende momentan zu Erleuchtungsreisen. Zur Premiere von Oliver Bukowskis Eastern-Komödie „Warten auf’n Bus“ in der Neuen Bühne Senftenberg ließen sich nicht nur der Landrat und der Bürgermeister blicken. In Berlin passierte Ähnliches im Falle der aktuellen Senatsbesetzung eher selten. Landrat Siegurd Heinze versicherte der taz auch, dass das Theater im nächsten Haushalt keinerlei Einbußen erleiden müsse. „Kultur spielt im Strukturwandel eine wichtige Rolle. Als allererstes Projekt im Rahmen der Förderrichtlinie ‚Strukturentwicklung Lausitz‘ überhaupt wurde das neue Werkstattgebäude des Theaters fertiggestellt“, betonte Heinze. „Als die Förderrichtlinie aufgelegt wurde, mussten wir das Projekt nur noch aus der Schublade holen“, sagte Heinze. So kann Kulturpolitik auch ­gehen, denkt der Reisende aus Berlin da wehmütig.

Das Werkstattgebäude wurde zu Spielzeitbeginn eröffnet. Für die jüngste Premiere „Warten auf’n Bus“ wurde in den blitzsauberen neuen Räumen eine hübsch abgeranzte Bushaltestelle installiert (Bühne: Helene Seitz). Darin lungern Ralle und Hannes, die Protagonisten aus Oliver Bukowskis erfolgreicher TV-Serie gleichen Namens. Regisseur Mirko Böttcher hat das Personal kräftig eingedampft. Nur zwei Männer sind auf der Bühne.

Matthias Manz spielt den bullig-brummigen Hannes. Als „Mischung aus Zementmischer und Schlachteplatte“ wird er im Stück bezeichnet. Manz erfüllt das ohne Zweifel und streut noch Philosophisches à la Fassbewohner Diogenes ein. Daniel Borgwardt hat mit Ralle den agileren der beiden unfreiwillig Beschäftigungslosen erwischt. Er verhilft Hannes dann auch zum Vorstellungsgespräch bei Tesla. Das geht aber schief. Denn es werden dort keine Landschaftsgärtner, sondern nur Hausmeister gesucht. Mal wieder geht eine Arbeitsbiografie am Stellenplan vorbei.

Hannes und Ralle klappern in einer typisch brandenburgischen Mischung aus Sarkasmus und Gemütlichkeit ihre Lebensstationen des Scheiterns ab. Natürlich kriegen die Leute aus dem Westen, die die besseren Jobs und mehr Geld bekamen, ihr Fett weg. Der Abbau der Infrastrukturen wird beklagt, die zum Dauertreffpunkt auserkorene Bushaltestelle ohne Linie aber zum alle Herzen erwärmenden Objekt geadelt. Immerhin blitzt bei beiden auch mal die Erkenntnis auf, sich in entscheidenden Momenten zuwenig zugetraut – und deshalb den Anschluss verpasst zu haben.

Dieser Erkundungstrip in die ostdeutsche Männerseele ist zuweilen derb, oft komisch. Eigene Verwirrungen in Sachen Sex und Gender sind hauchzart angedeutet. Verzweiflung allerdings wird – wie auch im echten Leben – eher weggelacht und weggetrunken.

Als Höhepunkt kommt ein Selbstermächtigungsmoment. Ralle und Hannes treten – unter den Klängen und im Erinnerungsrausch an das legendäre Konzert der Rolling Stones im August 1990 – zur Doppelspitzenkandidatur fürs Bürgermeisteramt in ihrem sterbenden Dorf an. Eckpunkte der Antrittsrede sind zum einen das Von-hier-Sein und damit die tiefe Kenntnis der Verhältnisse vor Ort, zum anderen die im Leben oft bewiesene Exzellenz in pragmatischen Problemlösungsverfahren.

Ob das ausreicht für eine Trendwende, wird im Stück nicht mehr gezeigt. Der kurze Aufbruch findet ein jähes Ende in Schüssen aus den Waffen jener Clique, die ein paar Szenen zuvor die Bushaltestelle mit einem Hakenkreuz und landläufig bekannten Parolen beschmiert hat. Das düstere Finale geht im fröhlich-begeisterten Applaus ein wenig unter. Das überrascht. Es mag allerdings auch an Alltagserfahrungen des Premierenpublikums liegen. Viele von ihnen sind mit Exponenten rechter Parteien ganz real konfrontiert, sie existieren nicht als Angst machende Imagination.

Keine Angst machende Imagination, sondern Realität ist die Konfrontation mit Rechten

Der eine oder andere AfD-Politiker kommt zuweilen sogar ins Theater, sagte Intendant Daniel Ris der taz bei einem früheren Besuch. Gerade bei Gundermann-Abenden werde fleißig mitgewippt.

Im realpolitischen Alltag stellt Landrat Heinze sogar einen positiven Effekt fest. „Die AfD-Fraktion ist zwar die zweitstärkste, aber sie hat keine Mehrheit. Die anderen Fraktionen rücken jetzt näher zusammen und bringen geschlossen sinnvolle Maßnahmen durch“, sagt er. Geschmeidigeres Regieren trotz AfD – noch so ein Brandenburger Aspekt, über den aus Berlin Kommende derzeit staunen können.

„Warten auf’n Bus“, wieder am 6., 7. und 12. Dezember an der Neuen Bühne Senftenberg

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