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Alltag in GazaMomente des Friedens zwischen den Angriffen

Das Nachbarhaus unserer Autorin wird getroffen, nur drei der Kinder überleben. Gemeinsam versuchen sie die Trauer zu bewältigen.

Rauch über Gaza: Auch der Autorin und ihrer Familie hat der Krieg vieles genommen Foto: Amir Cohen/reuters

ber ein Jahr ist dieser unvergessliche Tag nun her – und doch kommt es mir vor, als wäre es gestern gewesen. Damals traf eine Rakete unser Nachbarhaus und forderte das Leben des Nachbarn, seiner Frau und eines ihrer Kinder. Drei Geschwister überlebten – Kinder, die zuvor oft zu uns nach Hause gekommen waren, um mit den Kindern in unserem Haus zu spielen.

Als sie aus dem Krankenhaus zurückkehrten, besuchte ich sie. Wir saßen zusammen und fanden in der Gesellschaft des anderen ein wenig Trost. Das älteste Mädchen, noch keine zehn Jahre alt, sprach zuerst: „Wenn wir diesen Krieg überleben und das Leben wieder zur Normalität zurückkehrt“, sagte sie, „dann erst werde ich das Gefühl haben, meine Mutter wirklich verloren zu haben.“ Ihre jüngere Schwester, sieben Jahre alt, fragte: „Glaubst du, wenn Papa überlebt hätte, hätte er den Verlust von Mama verkraften können?“ Ihre Augen ähneln denen ihrer Mutter, nach der sie sich sehnte.

Der Bruder der beiden versuchte sich unterdessen abzulenken, indem er mich zu einem Kartenspiel herausforderte – mit einem Kartensatz, den er aus ihrem brennenden Haus gerettet hatte. Ein Schatz seines Vaters. Während er die Karten mischte, flüsterte er: „Papa hat gesehen, wie Mama ihren letzten Atemzug tat. Er versuchte, ihr zu helfen, aber als sie aufgehört hatte zu atmen, hörte auch er auf. Mein Vater sah, wie meine Mutter ging, und folgte ihr dann auch. Das war’s. Das ist alles.“ Er blickte auf, die Tränen rollten ihm über die Wangen. „Dieses Spiel ist alles, was mir von ihm geblieben ist. Ich werde es nicht verlieren.“

Der Kummer der Kinder war zu schwer, als dass sie ihn allein hätten ertragen können. Also schlug ich vor, dass wir zum Haus meines Onkels gehen und dort spielen. Wir verließen das kleine Haus, in dem sie jetzt bei ihrer Großmutter lebten – einer Frau, die bereits zwei Söhne begraben hatte. Ich brachte die Kinder in unser vorübergehendes Zuhause. Es ist nicht unser Haus, wir waren dorthin geflohen, nachdem unser eigenes Haus zu einem militärischen Außenposten geworden war.

Meine dreijährige Nichte wurde getötet

Dort angekommen, spielten die Kinder mit den Spielsachen meines Neffen und für einen Moment tönte ihr Lachen durch die Stille. Doch dann hallten Explosionen durch die Luft. Wir hielten inne, schwiegen und lauschten – und versuchten uns an die kurzen Momente des Friedens zu klammern. Eines der Mädchen sagte: „Wir haben gebetet, wir haben den Koran rezitiert. Aber der Krieg ist noch nicht vorbei. Was können wir noch tun?“

Ich erinnerte mich an meine dreijährige Nichte, die einem plötzlichen Luftangriff zum Opfer gefallen war. Ihr hübsches Gesicht war unter den Trümmern begraben worden. Ich schluckte meine Trauer hinunter und erzählte den Kindern, wie süß meine Nichte gewesen war. Als ich sie zum letzten Mal sah, verabschiedeten wir uns – ohne zu wissen, dass es das letzte Mal sein würde, dass wir uns sehen. Für einen Moment stellte ich mir vor, wie sie bei uns war – ein kleiner Engel, der über uns wachte.

Die Explosionen draußen wurden immer unerbittlicher. Und erinnerten uns wieder einmal daran, dass der Frieden noch in weiter Ferne liegt.

Diese Tragödien ereignen sich weiterhin, jede mit ihrer eigenen Geschichte. Ich erlebe sie nicht mehr aus erster Hand, denn ich bin vom Norden des Gazastreifens in den Süden gezogen. Doch nun bin ich Zeugin einer ganz anderen Welt: ein Leben in Vertreibung, Zelten und unsäglicher Not.

Sawsan Al-Ajouri hat an der Islamischen Universität Gaza Englisch studiert und schreibt seit acht Jahren Gedichte. Noch ist ihr Erstlingswerk unveröffentlicht.

Internationale Jour­na­lis­t*in­nen können seit dem Beginn des Krieges nicht in den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen wir Stimmen von vor Ort ein.

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