: Fußballspiel übertönt die Wahl
Bei den BewohnerInnen der Dortmunder Nordstadt stieß die Nachricht vom Wahlsieg der CDU auf wenig Interesse. Der Ausgang eines türkischen Meisterschaftsspiel löste mehr Emotionen aus
AUS DORTMUNDNATALIE WIESMANN
Punkt 18 Uhr, Wahllokal „Burgholzschänke“ in der Dortmunder Nordstadt: Im Radio werden die ersten Hochrechnungen durchgesagt. Die Reaktionen auf den Wahlsieg von Jürgen Rüttgers halten sich in Grenzen. „Endlich sind die Grünen weg“, ruft ein Wahlhelfer. Die Besitzerin der Kneipe schenkt ungerührt weiter Bier aus. „Es ändert sich doch nichts“, sagt sie.
Dank der modernen Wahlautomaten steht das Ergebnis im Stimmbezirk 403 zehn Minuten später fest: 50 Prozent haben hier SPD gewählt. Zwar gegen den Landestrend, hier aber durchaus normal: Die Dortmunder Nordstadt ist seit jeher eine SPD-Hochburg. Die CDU hat nur 20 Prozent der Wählerstimmen auf sich ziehen können. Die absolute Mehrheit stellen die Nichtwähler: 61 Prozent haben von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht – auch das ist nichts Neues. In der Nordstadt leben viele Arbeitslose und Alleinerziehende. Jeder zweite Bewohner ist Migrant, viele von ihnen haben keinen deutschen Pass.
Gegenüber vom Wahllokal im islamischen Kulturverein drängen sich 30 Männer um einen Fernseher. Jubel ertönt. Doch der gilt nicht dem Wahlsieg der CDU, sondern einem Tor der Istanbuler Mannschaft Fenerbahce. Nur ein junger türkischstämmiger SPD-Wähler lässt sich von dem Meisterschaftspiel ablenken. „Die CDU wird noch mehr Schulden machen als die SPD.“ Außerdem stecke die CDU hinter der Ausbürgerung vieler Doppelstaatler, weil sie auf die rot-grüne Regierung Druck ausgeübt hätte.
„Da wird sich ganz schön viel ändern, aber im negativen Sinne“, prophezeit eine Studentin afrikanischer Herkunft. Sie hätte den Regierungswechsel nicht unterstützt, wenn sie hätte wählen dürfen: „Die CDU wird als erstes Studiengebühren einführen.“
Ein junger Straßenbahnfahrer outet sich als Nichtwähler. „Als Mensch ist mir das egal, wer gewonnen hat.“ Doch als Mitarbeiter der Stadt müsste er eigentlich gegen die CDU sein, sagt er selbst. „Die wollen ja alles privatisieren und Mehrarbeit ohne Lohnausgleich“. Seine Stimme klingt emotionslos.
Ein paar Straßen weiter im Restaurant Portugal. Hier ist das Wahlergebnis noch nicht angekommen. „Was, die CDU hat gewonnen? Endlich hat die SPD einen auf den Deckel gekriegt“, sagt ein angetrunkener Gast und haut vor Freude mit der Faust auf den Tisch. Fernando Silva, der als EU-Bürger nur bei den Kommunalwahlen seine Stimme abgeben darf, kann sich nicht mitfreuen. „Die Wähler werden es noch ganz schön bereuen, die CDU gewählt zu haben“, sagt der SPD-Anhänger. Auch dem bevorstehenden Regierungswechsel in Berlin sieht er mit Schrecken entgegen.
Vor dem türkischen Männercafé Akdeniz steht Seyit Iz, ein Geschäftsmann, der auch am Sonntag im Anzug herumläuft. Er hat standesgemäß den Christdemokraten seine Stimme gegeben. „Die CDU wird eine Lösung gegen die hohe Arbeitslosigkeit finden“, ist er überzeugt. Außerdem würde sie seiner Meinung nach endlich dafür sorgen, dass die Tabak- und die Benzinsteuer nicht weiter ansteigen. „Wir als Ausländer haben die Schnauze voll von der SPD“, springt ihm ein Freund bei. Aber die CDU müsse in ihrer Amtszeit schon etwas bewegen. „Wenn sie das jetzt nicht schaffen, kommen die nie wieder dran“, analysiert er.
In „Petras Pöttchen“, einer urdeutschen Oase in der von Migranten dominierten Kneipenlandschaft, ist die Nachricht vom Wahlausgang um 21 Uhr noch nicht angekommen. Hier läuft stattdessen deutscher Schlager vom Band. Dem Wirt Peter Weulke fällt fast das gezapfte Bier aus der Hand. „Was, ohne Witz? Hat die CDU wirklich gewonnen?“ Sein Stammgast, Pierro Zedda, gesteht, dass er zum Regierungssturz beigetragen hat. „Hömma, hast du die wirklich gewählt?“, schaut ihn Weulke entsetzt an. Zedda nickt. „Dann hast bei mir verloren“, schnauzt der Wirt ihn an. „Die CDU und Helmut Kohl haben uns 20 Jahre für doof verkauft“, schimpft er weiter. Jeder andere hätte die Wiedervereinigung auch geschafft, das sei kein Verdienst von Helmut Kohl, sagt Weulke und wendet sich dann wieder seinen Gästen zu.
Draußen auf der Straße ist das Hupen eines Autokorsos zu hören – Fenerbahce hat das Spiel gewonnen.