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Kein Grund zu feiern in Tirana

Selbst am albanischen Unabhängigkeitstag halten die Antiregierungsproteste an

Von Erich Rathfelder, Sarajevo

Dass am 28. November überall in Albaniens Hauptstadt Tirana die roten Flaggen mit dem schwarzen Adler zu sehen sind, hat nichts mit den seit Monaten anhaltenden militanten Antiregierungsprotesten zu tun. Die Flaggen wehen zum seit 1912 gefeierten Unabhängigkeitstag aller Albaner. Wenigstens darauf können sich die sonst zerstrittenen Parteien des Landes einigen. Selbst in Kosovo werden albanischstämmige Frauen und Männer den doppelten Nationalfeiertag feiern, denn am 29. November 1944 sind die deutschen Besatzungstruppen zum Ende des Zweiten Weltkrieges aus großen Teilen Albaniens abgezogen.

Diese Klammer der nationalen Einheit kann jedoch nur kurzzeitig verdrängen, dass das Land politisch tief gespalten ist. Und dass die Opposition unter dem Ex-Ministerpräsidenten und Demokraten Sali Berisha den jetzigen Ministerpräsidenten, den Sozialisten Edi Rama, bei den Wahlen im Frühjahr nächsten Jahres herausfordern wird. Immerhin wurde Sali Berisha rechtzeitig zum Nationalfeiertag aus dem Hausarrest entlassen, unter dem er seit letztem Dezember stand.

In Tirana haben Hunderte, angeführt von Abgeordneten der Opposition, gegen die Regierung demonstriert und Straßen blockiert. Auch der langjährige Abgeordnete und prominente Funktionsträger Genc Polo war unter den Demonstran­ten. Sie warfen der Regierung um Ministerpräsident Edi Rama und seiner Sozialistischen Partei Korruption und Wahlbetrug vor. Die Demonstrierenden fordern, dass bis zu den Parlamentswahlen im kommenden Jahr ein technokratisches Verwaltungskabinett die Regierung übernimmt. Hunderte Polizeikräften schützten Regierungsgebäude und hielten den Verkehr am Laufen.

Ob sich die Opposition aber an diesem Punkt durchsetzen kann, ist unklar. Bisherigen Umfrageergebnissen zufolge hat Ramas Partei in der Wählergunst immer noch einen deutlichen Vorsprung. Doch die Demokratische Partei und ihre Anhänger prangern die Korruptionsvorwürfe gegen ihren Parteivorsitzenden Sali Berisha an. Dem wird vorgeworfen, mithilfe seiner Position seinem Schwiegersohn beim Bau von 17 Wohnhäusern auf öffentlichem Land in Tirana unterstützt zu haben. Diese Vorwürfe seien politisch motiviert, erklärt die Opposition. Gleiches gilt ihrer Ansicht nach für die Korruptionsvorwürfe gegen den ehemaligen Präsidenten Ilir Meta, der in einem anderen Fall angeklagt ist.

Der 80-jährige Berisha sprach nach der Erlassung des Hausarrests vor dem Hauptquartier der Demokratischen Partei zu Hunderten Anhängern. „Heute sind wir unserem Triumph, der Rückkehr der Demokratischen Partei an die Macht, näher denn je“, sagte er. Berisha wiederholte die Forderung nach einem technokratischen Verwaltungskabinett bis zu den nächsten Wahlen.

Die USA und die Europäische Union haben die Opposition gedrängt, den Dialog mit der Regierung aufrechtzuerhalten. Gewalt werde auf dem Weg zur Aufnahme in die EU nicht weiterhelfen. Internationale Beo­bachter gehen davon aus, dass beide Seiten gleichermaßen in Korruptionsskandale verstrickt sind.

Beide Seiten haben jedoch auch die Annäherung der Staaten Albanien und Kosovo betrieben. Durch die seit 2015 bestehende Autobahn zwischen Tirana und Prishtina und den Wegfall der Personenkontrollen kann man quasi zum Kaffeetrinken in die jeweils andere Hauptstadt fahren. Die ehemals existierenden historischen und psychologischen Schranken zwischen den Menschen sind kleiner geworden: Dass die Mentalität der Albaner, die in einem kommunistischen Terrorstaat lebten, anders ist als die der Kosovaren, die sich vom serbischen Terror selbst befreien konnten, spielt heute nur eine untergeordnete Rolle.

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