Christiane RösingerAus dem Leben einer Boomerin: Boomer am Sonntag
Sonntage sind für die Boomerin ja immer etwas schwierig, aber Novembersonntage sind am schlimmsten.
Auch der Kleingarten, sonst die Lösung aller Probleme, kann da nicht helfen. Selbst noch im Frühherbst des Lebens sieht die Boomerin im Garten nun den Zerfall des Spätherbstes. Viel gibt es nicht mehr zu tun: Die Pumpe ist abgebaut, im Gartenhäuschen ist es dunkel, klamm und muffig. Bei den Laubarbeiten geht das monotone Kratzen des stählernen Besens ans Gemüt, mumifizierte Äpfel und von Tierfraß ausgehöhlte Birnen kommen zum Vorschein und gemahnen an die eigene Vergänglichkeit.
Selbst die 20 Garten-Influencer, die der Instagram-Algorithmus in petto hat, schlagen nur deprimierende Tätigkeiten vor: Totholzhaufen errichten, kranke und überalterte Bäume beseitigen! Gehölzschneider kaufen. Frostschutz!
Also bleibt man sonntags in der Stadt, denn in einer Metropole lässt sich auch am Sonntag genug Ablenkung finden. Die Cafés sind von Hipstern besetzt, die Museen überlaufen, das Fitnessstudio ist voll von Werktätigen, die den Sonntag zur körperlichen Ertüchtigung nutzen. Flohmarktbesuche entfallen ebenso, denn im fortgeschrittenen Alter neigt der Mensch eher dazu, Dinge loszuwerden, als immer wieder neuen Schrott anzuhäufen.
Simplify your life, Entrümpelungs- Feng-Shui, Minimalismus – das wird ja schon seit Jahren von führenden Wohninfluencerinnen empfohlen.
Auch die in jüngeren Jahren erprobte Methode, einfach Samstag so lange auszugehen, so viel zu trinken und zu konsumieren, dass man den halben Sonntag halbtot im Bett verbringen kann und frühestens mit der Lindenstraße um 18.40 Uhr unter die Lebenden taumelt, funktioniert für die Boomerin nicht mehr.
Eine solch exzessive Ausgehnacht hätte für die 60-Jährige eine mehrtägige Rekonvaleszenzphase mit Alkoholschnupfen, Nervenstechen und unerklärlicher Niedergeschlagenheit zur Folge. Man wird so vernünftig im Alter! Zum Glück.
Und so wird der sensible Mensch an den Herbstsonntagen von der Alters-, Herbst- und Sonntagsmelancholie erfasst.
„Hauptsache, raus!“ empfahl da schon Hippokrates den antiken Boomern.
Aber spontane Verabredungen funktionieren nicht mehr, jedes Treffen muss 14 Tage vorher angefragt und bestätigt werden, erst recht bei Leuten mit Beziehung, Kindern oder Festanstellung.
Als freiberufliche Gelegenheitsautorin/Musikerin ist der Sonntag ja eigentlich ein Tag wie jeder andere. Keiner sagt einem, was zu tun ist. Die Zeit muss selbstständig sinnvoll eingeteilt und genutzt werden. Die Freiberuflerin könnte also durchaus am Sonntag schreiben, sinnieren, organisieren, Büroarbeit verrichten, prokrastinieren. Woher rührt dann bloß diese entsetzliche Sonntagslähmung?
Aber auch Novembersonntage gehen irgendwann mal vorbei. Mein Tipp:
Erst mal raus, kurz melancholisch spazieren gehen, freudlose Pärchen beobachten, dann ins Café, nervige Expats und Hipster studieren. Dann wieder rein, Tee trinken, lesen, Möbel umstellen, kochen, Serien schauen und dann ist zum Glück auch schon der liebe Montag in Sicht.
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