: Verteidigung spielt auf Zeit
Mit einem Befangenheitsantrag gegen die Schwurgerichtskammer sorgten Verteidiger des wegen zweifachen Mordes angeklagten Marc Hoffmann für Aufsehen – und vor allem für eine Verzögerung der Verhandlung in Stade
Der Mordprozess vor dem Landgerichts Stade gerät überraschend ins Stocken. Auslöser ist ein Befangenheitsantrag, mit dem die Verteidiger des wegen zweifachen Mordes angeklagten Marc Hoffmann gestern Nachmittag gegen die Schwurgerichtskammer stellten.
Die Verhandlung wurde bis auf weiteres unterbrochen. Eine Entscheidung, ob der Prozess unter gleichem Vorsitz fortgesetzt wird, fällt frühestens Ende der Woche.
An den vergangenen vier Verhandlungstagen hatten die beiden Rechtsbeistände des 31-jährigen Beschuldigten wenig versucht, um zugunsten ihres Mandanten auf das Prozessgeschehen Einfluss zu nehmen. Nachdem es Richter Berend Appelkamp bereits vor zwei Wochen abgelehnt hatte, wichtige Zeugen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu befragen, schienen sich die Verteidiger mit der Journalistenmeute in den Zuschauerreihen abgefunden zu haben. Mehr noch: es wurde regelrecht still auf Seiten der Anwälte, die den mutmaßlichen Mörder der Kinder Levke und Felix vertreten.
Um so lauter meldete sich Strafverteidiger Jost Ferlings am gestrigen Montag zurück: Die Kammervertreter seien befangen, erklärte der Paderborner Rechtsanwalt im Namen seines Mandanten, kaum dass die Prozessbeteiligten von einer mittäglichen Verhandlungspause in den Schwurgerichtssaal zurückgekehrt waren. „Die Verteidigung will mit diesem Schritt Flagge zeigen“, mutmaßte Gerichtssprecher Björn Kaufert, der zuvor noch in Zweifel gezogen hatte, dass sich Hoffmanns Anwälte auf einen derartigen juristischen Winkelzug einlassen würden. Reibungspunkte zwischen dem Kammervorsitzenden und den Beklagtenvertretern waren trotz allem bereits am Vormittag fühlbar geworden: Da „knirschte“ es bereits merklich, als die Verteidigung forderte, zwei weitere Jugendfreunde des Beschuldigten zur Anhörung nach Stade zu laden. „Unspezifisch“ sei dieser Beweisantrag monierte der Richter – speziell, was die Frage beträfe, ob Marc Hoffmann in seiner Kindheit möglicherweise selbst Opfer einer Missbrauchstat geworden sei.
Eine „Retourkutsche“ kam beinahe postwendend: Als ein psychologisches Gutachten zur Persönlichkeit Hoffmanns vorgebracht werden sollte, stellte dessen Verteidiger abermals den Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit. Bei der Anhörung des Sachverständigen kämen Details zur Sprache, die das Sexualleben seines Mandanten beträfen, argumentierte Jost Ferlings.
Die Kammer sah darin allerdings keinen hinreichenden Grund gegeben, Zuschauer und Journalisten des Saales zu verweisen. „Persönliche Belange des Angeklagten haben angesichts des Gegenstands und der Schwere der Tat zurückzustehen“, argumentierte der Vorsitzende Appelkamp. Hoffmanns Rechtsbeistände deuteten dies als Befangenheitsindiz: „Öffentliches Interesse, insbesondere das Interesse der Medien, wird vor die Interessen des Angeklagten gestellt“.
Ob diese Einschätzung zutrifft, hat nun die Ersatzkammer des Landgerichts Stade zu prüfen. Dass die Verteidigung einen Austausch der Richter nebst Beisitzer und Schöffen erreicht, gilt als unwahrscheinlich. Immerhin hat sie Zeit gewonnen: Gestern wurde die Verhandlung erst einmal unterbrochen, der geladene Gutachter kam nicht mehr zu Wort. Kai Koppe