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Resiliente Alpträume

Der israelische Künstler Roee Rosen ist ein Meister darin, Geschichten zu erzählen. Dafür erfindet er auch detailreich Werke und Lebensgeschichten fiktiver Künstler:innen. Das Kunsthaus Hannover zeigt jetzt seine erste große Einzelausstellung in Deutschland

Von Bettina Maria Brosowsky

Der als Efim Poplavsky 1978 in der Sowjetunion geborene Dichter und Künstler muss ein wahrer Visionär gewesen sein. Jüdischen Glaubens, emigrierte er um das Jahr 2004 nach Tel Aviv. Unter dem Pseudonym „Maxim Komar-Myshkin“ verfasste er, noch vor seinen Suizid 2011, ein luzides, aber in seiner Grafik verstörend überzeichnetes und krudes Psychogramm eines Wladimir. Es besteht aus 39 Gouachenmalereien, versehen mit Versen. Im siebten Blatt zu besagtem Wladimir, nun zweifelsfrei als Putin zu identifizieren, hängt ein menschlicher Kopf als Jagdtrophäe im Zimmer.

Es ist das Haupt der auf Putins Geheiß an seinem Geburtstag, dem 7. Oktober, 2006 in Moskau ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja. Sie hatte die Hintergründe recherchiert, die zum zweiten Tschetschenienkrieg zwischen 1999 und 2009 führten. Der endete mit einer „Wiedereingliederung“ der abtrünnigen Kaukasusrepublik in die Russische Föderation und der Einsetzung eines russlandtreuen Präsidenten.

Putins Geliebte und wohl auch heimliche Ehefrau, die olympische Bodenturnerin Alina Kabajewa, mutiert unter Komar-Myshkin zu einem halbtierischen Fabelwesen, den Doppeladler des russischen Staatswappens ersetzt er lieber gleich durch zwei Eselsköpfe.

„Vladimir’s Night“, so der Titel der Bilderreihe, wurde 2014, also posthum, als Buch veröffentlicht. Teils Kinderbuch, teils blutiger politischer Angriff und teils erotische Farce ist es, laut Verlagsangaben, nicht nur Komar-Myschkins Opus Magnum, sondern auch eine psycho-ästhetische Vergeltung an Wladimir Putin, von dem der Künstler glaubte, dass er einen persönlichen Rachefeldzug gegen ihn führe. Zumindest ist es ein Werk voller Anspielungen auf lebende und historische Politakteure sowie eine künstlerische Referenz an die große sowjetische Avantgarde der 1920er-Jahre.

Natürlich ist Maxim Komar-Myshkin eine Erfindung, schon der Nachname klingt ein wenig wie die Transkription einer verballhornten Wortzusammensetzung von Alptraum und Maus aus dem Russischen. Ersonnen hat diesen fiktiven, tragischen Kunstaktivisten der israelische Künstler Roee Rosen. Nach einer Einzelschau 2016 im Oldenburger Edith-Russ-Haus für Medienkunst widmet ihm nun der Kunstverein Hannover eine große Werkspräsentation.

Dort begegnet man einem weiteren Nachlass Komar-Myshkins: acht Blätter aus seiner 20-teiligen Reihe „Astrological Paranoia“. In einer der Sternenkonstellationen liest man „Polonaise by Chopin, Polonium by Putin“: eindeutige Bezugnahme auf die zahlreichen Giftanschlägen, die, von Putin beauftragt, seinen politischen Gegner gelten. Da wäre der Mord an dem Überläufer Alexander Litwinenko mit diesem radioaktiven Material, 2006 in London.

Roee Rosen, 1963 in Israel geboren, wirft seit mehr als drei Jahrzehnten mit multiplen künstlerischen Mitteln – Malerei, Film, Installation – ein kaum noch zu entwirrendes Netz aus Fiktion und Realität aus.

Eine weitere seiner subtil ausgearbeiteten Kunstfiguren ist die belgische Jüdin Justine Frank (1900–1943), die ein unverstandenes, gar verspottetes Œuvre im Dunstkreis des französischen Surrealismus hinterließ. Sie revoltierte gegen einen überkommenen und misogynen Geschlechterbegriff des Surrealisten-Papstes André Breton, der Männern den Part des Begehrens, Frauen den der begehrenswerten, hysterisch übersteigerten Schönheit zuwies. Und konterte in ihrer Malerei mit sexuellen und auch religiösen Chiffren, eine weitere offene Provokation des surrealistischen Weltverständnisses, sowie einem pornografischen Roman, „Sweet Sweat“.

Um dem erstarkenden Antisemitismus in Europa zu entkommen, ging diese fiktive Frank 1934 nach Palästina – und eckte dort neuerlich als Gegnerin des Zionismus an, wurde gesellschaftlich geächtet. 1943 verschwand sie spurlos, und mit ihr ein Werk, das erst Roee Rosen zu neuem Leben erweckte: so detailreich, historisch und genealogisch schlüssig, dass man es für wahr halten möchte.

Rosen ist ein Meister der Erzählungen, voll schwarzem Humor. Er bedient sich Motiven und Themen aus Politik, Literatur, der eigenen Lebenserfahrung. Seine Diagnose Knochenmarkkrebs verarbeitet er in einer raumgroßen Installation zu einem begehbaren Kinderbuch, mit 24 Blättern zum Ausmalen. Seine Beerdigung verfolgt er aus der Perspektive des Beizusetzenden, der Tiefe des Grabes.

Diese Weltsicht lässt den Atem stocken. Vielleicht wurde sie zum probaten Mittel im 3.000-jährigen Überlebenskampf der Jüdinnen und Juden, weltweit. Mentale Resilienz nennt man das wohl heute.

Roee Rosen: The Kafka Companion to Wellness: bis 12. 1. 25, Kunstverein Hannover

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