Indie als Attitüde

Die Musikmesse „Leipzig Pop Up“ spiegelt die Krise einer Pop-Branche, die keine sein will, aber längst im Geschäftsleben angekommen ist

Die alte Abgrenzung zwischen Mainstream und Indie funktioniert nicht mehr. Klar spricht dies lieber keiner aus

VON DAVID DENK

Die „Leipzig Pop Up“ ist eine Musikmesse, die sich rar macht. Keine Werbung auf Großtransparenten am Bahnhof und ähnliche Insignien des etablierten Messebetriebs. Die „Pop Up“ hält seit vier Jahren, so gut es geht, dagegen mit VW-Bus-Importen von Flaschenbier aus allen Ecken der Republik, mit Pferdeschwanz-Mädchen und Seitenscheitel-Jungs, aber vor allem mit viel Musik und ein bisschen Freak-Show. Dass die Veranstalter bewusst auf bekannte Headliner verzichten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die alte Abgrenzung zwischen Mainstream und Indie nicht mehr funktioniert. Klar spricht dies lieber keiner aus, dies würde ja die ganze Veranstaltung in Frage stellen. Und so wurde die „Mainstreamisierung“ zum totgeschwiegenen roten Faden des vergangenen Wochenendes.

Rund 5.000 an Popmusik Interessierte kamen zum Feiern, Diskutieren und Entdecken, für Konzerte und Workshops nach Leipzig. Im Veranstaltungszentrum „Werk II“, einer ehemaligen Gasmesserfabrik am südlichen Rand der Innenstadt, fand am Samstag die eigentliche Messe statt und parallel dazu zwei sehr interessant besetzte „Foren“.

Auf dem ersten der beiden Podien mit dem Titel „Radiomat 2005 – Quo Vadis Popradio?“ thronte die Lichtgestalt der Branche mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf den Lippen. Tim Renner, Ex-Chef von Universal Deutschland und jetzt selbst Unternehmer mit dem Indie-Download-Radio Motor FM duellierte sich mit einem grimmig dreinschauenden Helmut Lehnert, Noch-Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Vorzeigesenders Radio Eins. Was da auf dem Podium verbal ausgetragen wurde, war Duell der Eitelkeiten und Generationenkonflikt zugleich. Renner warf Lehnert vor, im Geld zu schwimmen. Dessen Antwort: „Wir kriegen das Geld doch nicht fürs Programm, sondern für die Altersversorgung. Und ich freu mich drauf.“

Angesichts dieses Geplänkels hätte das Thema des Forums glatt in Vergessenheit geraten können. Wäre da nicht Ulrich Stock gewesen, dessen viel beachtetes Zeit-Dossier „Rettet das Radio!“ die Misere der Branche auf den Punkt bringt, die zunehmende Angleichung der Öffentlich-Rechtlichen an die Privaten und Vernachlässigung des Kulturauftrags aus Quotenhörigkeit. Tim Renner macht zwar auch Privatradio, gilt aber als einer von den Guten, weil er unbekannte Künstler promotet und mehr als 180 Titel in den Motor-FM-Playlisten hat. Weil ihm das offenbar fast zu viel Verantwortung ist, relativierte er die in ihn gesetzten Hoffnungen direkt: „Genauso wenig wie Öffentlich-Rechtliche das Privatradio kopieren sollen, sollen die Privaten Öffentlich-Rechtliche kopieren.“

Renner macht zwar ein „Szene-Radio“, besetzt eine Nische; letztendlich geht es aber vor allem um eines: auf dem hart umkämpften Privatradio-Markt wirtschaftlich zu bestehen.

Diese Sorgen teilen auch die Macher von Fanzines. Das Genre hat seine Unschuld verloren. Diesen Eindruck hinterließ zumindest das Forum „Auslaufmodell Fanzine?“. Die Abkehr von der schlecht kopierten Selbstverwirklichungs-Romantik und zunehmende Professionalisierung, die Fanzines wie Ox sogar bundesweit in den Bahnhofsbuchhandel gebracht hat, macht den Machern zu schaffen, weil sie um ihre Glaubwürdigkeit fürchten. Sie sind keine Journalisten, sondern Fans, wollen Letzteres bleiben und, vor allem die Älteren, Ersteres nie werden. Vor allem aber wollen sie nicht als Business-Ärsche enden, die früher mal gute Musik gehört haben und dies für den Lebenslauf ausschlachten. Wieder muss Tim Renner herhalten: „So ’n Arschloch kann der gar nicht sein, der hat mal ein Punk-Fanzine gemacht“, polemisierte Ox-Chef Joachim Hiller. „Auf derlei Credibility-Points können wir verzichten.“