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Mal ganz unspontan losgepilgert

Eher Reiseführer als Dokumentation:In „Almar –Der Ruf des Jakobsweges“ stellt der Hannoveraner Sascha Günther seine Pilgerreise nach Santiago de Compostela nach

Von Wilfried Hippen

Eine Pilgerreise ist für viele eine existentielle Erfahrung, von der sie verändert in ihr Leben zurückkehren. So war es auch für den in Hannover lebenden Mediaberater und Musiker Sascha Günther. Er durchlebte eine Lebenskrise, die er durch einen langen Fußmarsch auf dem Jakobsweg überwand. Inspiriert wurde er durch „das Buch, das glaube ich fast jeder Deutsche gelesen hat.“ So umschreibt er in seinem Film „Almar – Der Ruf des Jakobsweges“ die Wirkung, die Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“ von 2006 und später dann dessen Verfilmung durch Julia von Heinz im Jahr 2016 hatten.

In den vergangenen Jahren wurden viele Filme über die Erfahrungen von Pil­ge­r*in­nen auf dem Jakobsweg gedreht, etwa das Hollywooddrama „Dein Weg“ von Emilio Estevez oder der deutsche Dokumentarfilm „Himmel über dem Camino“. Ein Grund dafür ist (neben den attraktiven Drehorten), dass der Pilgerweg eine mächtige Metapher für die verschiedenen Lebenswege der Menschen ist.

Das ist auch der Ansatz von Sascha Günthers sehr autobiografisch gehaltenem Film. Er machte seine Pilgerreise vor zehn Jahren und zu vielen von seinen Weg­ge­fähr­t*in­nen entwickelten sich Freundschaften. Für seinen Film begibt er sich noch einmal auf die gleiche Reise, besucht eine Reihe von ihnen und wandert mit ihnen noch einmal gemeinsam einzelne Streckenabschnitte.

Dieser Ansatz ist sowohl eine Stärke wie auch eine Schwäche des Films. Einerseits stellt er hier eine Reihe von Menschen vor, die in ihren Erinnerungen eine Ahnung davon vermitteln, wie existenziell die Erfahrung ihrer Pilgerreise war. Der Film ist voller Begrüßungen mit vielen Umarmungen – immer in sorgfältig komponierten Filmbildern, sodass sie eher gestellt wirken.

Die Reise beginnt in Hannover und geht über Besuche in Ulm, Paris und Bordeaux bis zur spanischen Grenze, wo Sascha Günther seine Wanderschuhe auspackt. Schon bei den Stadtbesuchen fällt die Werbefilmästhetik auf: die Postkartenblicke auf die Sehenswürdigkeiten und die sehr dekorative Art, in der Günther seine Freun­d*in­nen in Szene setzt. So wirken diese wie Darsteller*innen, die vor der Kamera genau den Anweisungen des Regisseurs folgen.

Wenn sie dann zusammen mit ihm einige ausgesucht schöne Wanderstrecken begehen, wirken diese Sequenzen wie für einen Spielfilm gedreht und montiert. Da gibt es Drohnenaufnahmen von einsamen Wegen, in denen immer nur die Prot­ago­nis­t*in­nen zu sehen sind. Davon, dass in der Hauptsaison (die Aufnahmen in Spanien wurden im Sommer 2023 gedreht) Tausende von Pil­ge­r*in­nen die Wege und die Herbergen füllen, ist im Film nichts zu spüren.

Sascha Günther trifft auch niemanden auf seinen Wanderungen – merkwürdig, weil er andererseits die Pilgerreise als Gelegenheit feiert, andere Menschen zu treffen und neue Freundschaften zu beginnen. Für seinen Film ist er nur am Nachbau seiner Reise interessiert. Jede Einstellung wirkt wie gebastelt und man bekommt den Eindruck, dass Günther nur dann wirklich gewandert ist, wenn gerade seine Kamera dabei war.

Gute Reisefilme leben hingegen davon, dass die Filmemacher*in­nen sich tatsächlich selber auf eine Reise begeben und Freiräume zulassen. Dabei entstehen Gelegenheiten, wahrhaftige Situationen und Bilder, auf die gute Dokumentarfilmer*in­nen hoffen und die sie ermöglichen, indem sie sich neugierig auf die Reiseorte und die dort lebenden Menschen einlassen. Diese Spontanität fehlt hier völlig.

Jede Einstellung wirkt wie gebastelt. Man bekommt den Eindruck, dass Sascha Günther nur dann wirklich gewandert ist, wenn gerade seine Kamera dabei war

Stattdessen werden Touristeninformationen geboten: Wann wurde eine Kirche gebaut, welche historische Persönlichkeit wurde in welchem kleinenDorf geboren und welches Luxushotel hat ein Nebengebäude in eine Pilgerherberge umgebaut? Mit Geheimtipps für besonders schöne Wegstrecken wirkt der Film manchmal wie ein Reiseführer.

Sascha Günther, der auch als Musiker arbeitet, hat besondere Aufmerksamkeit auf den Soundtrack gelegt. Zusammen mit Jens Eckhoff hat er Lieder arrangiert und produziert, die von Pilgerinnen und Pilgern komponiert und zum Teil auch eingesungen wurden. In sogenannten lyrischen Zwischenspielen, also Montagen von Filmbildern ohne gesprochene Worte, betonen diese Hymen in verschiedenen Sprachen die spirituellen Dimensionen der Pilgererfahrung. Interessant ist, dass Günther dennoch keinen katholischen Propagandafilm gedreht hat. Unter seinen Wan­der­ge­fähr­t*in­nen sind auch ein amerikanischer Jude und eine pantheistische Französin.

„Almar – Der Ruf des Jakobsweges“ soll Appetit auf die Pilgerreise nach Santiago de Compostela machen. Alles ist schön aufgeräumt, die Menschen laufen fröhlich durch die spanischen Landschaften und in jeder Herberge gibt es als Willkommensgruß den Stempel im Pilgerpass. Die unvermeidlichen Blasen an den Füßen der werden nie gezeigt.

„Almar – Der Ruf des Jakobsweges“, Regie Sascha Günther, Deutschland 2024, 94 Minuten

Aufführungen mit Sascha Günther: heute, 19.30 Uhr, Hamburg, Zeise-Kinos; 20. 11., 19.30 Uhr, Oldenburg, Casablanca; 21. 11., 19.30 Uhr, Bremer Filmkunsttheater; 22. 11., 18 Uhr, Osnabrück, Cinema Arthouse; 24. 11., 11 Uhr, Hannover, Kino am Raschplatz; 24. 11., 17 Uhr, Braunschweig, Premiumkino

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